Als ich hörte, dass im zweiten Lockdown die Seniorinnen und Senioren in den Heimen weiter Besuch bekommen dürfen, war ich sehr erleichtert. Zwar habe ich keine Verwandten oder Bekannten, die in einem Heim leben. Aber bei meiner Arbeit führe und lese ich viele Interviews mit den Bewohnern von solchen Heimen, mit Pflegefachkräften und Leuten aus der Sozialen Betreuung. Was ich dabei mitbekomme, hat mich davon überzeugt, dass es wichtig und richtig ist, die älteren Menschen, die dort leben, nicht vollständig zu isolieren - trotz aller Gefahr, die von dem Virus für sie ausgeht.
Die Interviews führe ich als wissenschaftliche Mitarbeiterin bei der CAsHeW-Studie an der THD. Die CAsHeW-Studie untersucht eigentlich die Arbeit von Clowns in Altenpflegeeinrichtungen. Geleitet wird sie vom Pflegewissenschaftler Prof. Michael Boßle, der selbst bis vor wenigen Jahren als Clown in Seniorenheimen aktiv war. Der Dachverband Clowns in Medizin und Pflege Deutschland e. V. ist unser Kooperationspartner. Beteiligt sind außerdem achtzehn weitere Clowns und Clowninnen, die uns von ihrer bisherigen Arbeit berichtet haben. Zurzeit erstellen sie auch Audio-Aufnahmen von einigen ihrer Besuchen in Seniorenheimen.
Wie Gefängnis oder Krieg für die einen…
Als wir im März 2020 die Datenerhebung starten wollbeten, brach gerade die Covid-19-Pandemie los. Deshalb dokumentieren wir nun unweigerlich auch, wie sich die Pandemie auf die Clownsbesuche im Heim und auch auf die Heime selbst auswirken. Die Folgen des ersten Lockdowns schildern unsere Interviewpartner teilweise sehr drastisch. Manche Interviewpartnerinnen aus Pflege und Betreuung verglichen die Heime in dieser Zeit mit einem Gefängnis und ihre eigene Arbeit mit der von Justizvollzugsbeamten. Die Hauptaufgabe habe darin bestanden, ihre Klienten abzuholen und vor eine Plexiglasscheibe zu bringen, wo diese dann eine halbe Stunde mit ihren Angehörigen sprechen konnten. Die Betreuer daneben, um darauf zu achten, dass die Bewohner ihrem Besuch nicht zu nahe kommen. Bei manchen Seniorinnen kamen im Lockdown sogar Erinnerungen aus dem Zweiten Weltkrieg hoch. Viele berichteten in den Gesprächen von Depressionen, von Rückzug, von einem schnelleren Fortschreiten dementieller Veränderung oder anderen Krankheiten. Selbstverständlich waren die Folgen aber nicht für alle Senioren gleichermaßen belastend.
…Ruhe und Entspannung für andere
Eine Interviewpartnerin arbeitet in einem Wohnbereich, in dem ausschließlich Menschen mit schweren und schwersten dementiellen Veränderungen leben. Diese Sozialarbeiterin berichtete uns sogar, dass der Lockdown in diesem Umfeld Ruhe und Entspannung mit sich gebracht habe. Ohne Angehörige, die für sie sprechen und ihnen Handgriffe abnehmen, waren die Seniorinnen und Senioren dort wieder mehr gefordert. Sie wurden gleichzeitig ruhiger und aktiver, aßen mit mehr Appetit und auch selbständiger und gewannen generell Fähigkeiten zurück.
Belastungen fürs Personal
Für die meisten Bewohnerinnen und Bewohner stellte der Lockdown aber sicher eine große Einschränkung dar. Belastend war die Situation aber auch für die Pflege- und Betreuungskräfte: Sie mussten den Bewohnern vermitteln, warum diese ihre Angehörigen nicht mehr sehen durften. Sie mussten das Wegfallen externer Angebote wie Konzerte oder eben auch Clownbesuche kompensieren. Sie mussten mit der angespannten Atmosphäre klarkommen und mit dem Wissen, dass für »ihre« Seniorinnen vieles nicht möglich war, was ihnen sonst guttat.
Gleichzeitig lebte und arbeitete das Heimpersonal in der ständigen Sorge, das Virus von außen einzuschleppen. Viele reduzierten deshalb ihr privates Sozialleben auf ein Minimum, was ihr Stresslevel natürlich noch weiter erhöhte. Deshalb verwundert es nicht, dass gerade auch Pflegefachkräfte und Leute aus der Sozialen Betreuung uns immer wieder erzählten, ihnen selbst hätten die Clowns gefehlt.
Clownerie in der Pandemie
Die älteren Menschen, insbesondere die fitteren, äußerten in manchen Heimen ebenfalls, dass die Clowns ihnen fehlten. In anderen Einrichtungen ging das Fehlen der Clowns in der allgemeinen Ausnahmesituation unter und trat erst zu Tage, als die Clowns wieder da waren.
Und das taten sie in einigen Einrichtungen schon sehr früh. Bereits im Juni holten sich manche Heime die Clowns wieder in den Garten oder Vorhof. Dort fanden in zum Teil regelrechte Clown-Shows für Gruppen statt, in manchen Heimen aber auch Treffen mit einzelnen Seniorinnen und Senioren – immer mit Abstand, immer mit Maske. Inzwischen besuchen die Clowns in vielen Einrichtungen – trotz des zweiten Lockdowns – die Seniorinnen auch wieder in Aufenthaltsräumen und in ihren Zimmern.
Ein nötiges Risiko
Ist das nicht ein unnötiges Risiko? Das wird der eine oder die andere sich fragen. Braucht es wirklich Clowns in so einer Situation? Ja, die braucht es – gerade in so einer Situation. Selbst aus der Distanz bringen die Clowns Leichtigkeit in die Schwere des Corona-Alltags: mit Musik, mit Riesen-Seifenblasen, im Sommer auch mit Planschbecken, Spritzpistolen und Wasserbomben. Die Seniorinnen und Senioren lachen, singen mit, kommen auch untereinander ins Reden. Für einen Moment werden sie aus ihrer Monotonie und Einsamkeit gerissen.
Viele Clowns versuchen zudem, die alten Menschen auch über die Entfernung individuell anzusprechen: zum Beispiel indem sie ihre alten Bekannten mit Namen begrüßen. Oder indem sie ihnen Herzluftballons an Teleskopstangen reichen. Wo die Situation es zulässt, besuchen die Clowns die Senioren und Seniorinnen auch auf ihren Zimmern. Dann kommt auch wieder zum Tragen, was die Arbeit der Clowns vor allem ausmacht: der direkte Kontakt, die individuelle Beziehung. Die körperliche Nähe - das Halten einer Hand, eine Umarmung, ein kurzes Streicheln über eine Wange – die fehlt natürlich noch. Aber die Clowns können das Lieblingslied anstimmen oder den einen oder andern „running gag“ wiederaufnehmen, den sie nur mit dieser einen Seniorin teilen. In diesem Moment sind die Clowns ganz für diesen alten Menschen da, sie sind ganz bei ihm und nehmen ihn wahr. Deshalb freue ich mich jedes Mal, wenn ich von einem »unserer« Clowns höre, dass er weiterhin die Menschen in dieser oder jener Einrichtung besuchen darf.
Elke Faber hat an der Universität Passau den Studiengang Sprachen, Wirtschafts- und Kulturraumstudien absolviert und in Geschichte Osteuropas promoviert. Seit März 2020 ist sie als Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der THD im Projekt CAsHeW tätig, das Clownsinterventionen in Senioreneinrichtungen und ihre Wirkung auf das Wohlbefinden der alten Menschen erforscht.