Im Magazin Wirtschaftswoche sagte Gloria von Thurn und Taxis kürzlich, Deutschland sei das Land der Bedenkenträger und Verhinderer. Dabei dachte Sie vermutlich nicht an die elektronische Patientenakte, doch passt ihre Aussage sehr gut auf diese. Dr. Bernhard Rohleder, CEO des Digitalverbands Bitkom, verweist darauf, dass Deutschland gegenüber vielen Ländern „um Jahre, teils Jahrzehnte bei der Nutzung digitaler Technologien im Gesundheitswesen“ zurückliege. 16 Jahre nach dem Beschluss zur Einführung der elektronischen Gesundheitskarte sind bis heute trotz Milliarden Euro an Entwicklungskosten keine einzigen gesundheitsbezogenen Daten der Versicherten darauf gespeichert worden.
Warum einfach, wenn es auch kompliziert geht?
Es gibt eigentlich die gesetzliche Verpflichtung die elektronische Patientenakte – auch kurz ePa genannt – ab 2021 einzuführen. Aber natürlich, wie könnte es anders sein bei uns: Datenschutzbedenken. Und das, obwohl ein Rechtsgutachten, 2020 vom Health Innovation Hub, einem Projekt des Bundesministeriums für Gesundheit, in Auftrag gegeben, bestätigt, dass die nationalen Regelungen zur ePA nach dem Patienten-Daten¬schutz-Gesetz (PDSG) nicht gegen höherrangiges europäisches Datenschutzrecht (DSGVO) verstoßen. Während in Ländern wie Österreich oder Dänemark elektronische Patientenakten als nationale Cloud Lösungen seit Jahren genutzt werden, wurden in Deutschland die Krankenkassen damit beauftragt, für ihre Mitglieder ePa-Apps anzubieten. Dezentral. Private Krankenversicherungen planen eine solche ab 2022. Da den unterschiedlichen Krankenkassen-ePas selbstverständlich unterschiedliche Herangehensweisen zugrunde liegen, sind diese Insellösungen auch unterschiedlich kompliziert für die Versicherten. Bei manchen Krankenkassen ist eine persönliche Registrierung bei den jeweiligen lokalen Niederlassungen erforderlich. Bei anderen das Aufwendige Beantragen eines Codes. Dies ist den jungen App Nutzern kaum vermittelbar und für viele ältere Bürger schlichtweg zu kompliziert.
Passivität und German Angst
Dass in Österreich und Dänemark Opt-Out Lösungen gewählt wurden, hat die Einführung der elektronischen Patientenakte in diesen Ländern beschleunigt. Deutschland bevorzugt im Gegensatz zu solchen Best-Practice-Beispielen den umgekehrten Weg, setzt also auf ein Opt-In Verfahren. Nicht zuletzt durch die Erfahrungen bei der Organspendebereitschaft bekanntes Problem dabei: Die Teilnahmequote von Opt-in Verfahren ist allein auf Grund der notwendigen aktiven Registrierung grundsätzlich überschaubar. In Deutschland anscheinend erst recht. Der Blick insbesondere nach Dänemark zeigt, dass dort in der öffentlichen Wahrnehmung eine umgekehrte Sichtweise zur deutschen vorherrscht. Man hat verstanden, dass die an einer einzigen Stelle gebündelten und für Arztpraxen wie auch Krankenhäuser zugänglichen essenziellen medizinischen Patienteninformationen in entscheidenden Situationen mitunter Leben retten können. Über zum Teil unberechtigte datenschutzrechtliche Bedenken wie in Deutschland schüttelt man in jenen Ländern lächelnd den Kopf. Ich fürchte, der gesellschaftliche, aber auch politische Stereotyp „German Angst“, der bei uns den Fortschritt oft und nachhaltig lähmt, wird das Abheben der ePa in Deutschland in den kommenden Jahren weiter verhindern. Schade.
Anna E. Schmaus-Klughammer
Anna E. Schmaus-Klughammer hat Jura in England studiert. Die wissenschaftliche Mitarbeiterin der Technischen Hochschule Deggendorf unterrichtet Studierende sowohl in Deggendorf als auch am European Campus Rottal-Inn (ECRI) in Pfarrkirchen. Sie ist beteiligt an internationalen Projekten der THD sowie an der Planung und Umsetzung von Forschungsvorhaben am ECRI.