„Engagement für Wissenschaftskommunikation muss sich endlich lohnen – auch als Karrierebaustein, bei Berufungen, in Förderanträgen.“ Wait, das hab‘ ich schon mal irgendwo gehört. Und nicht erst letzte Woche von Wolfgang Rohe (Stiftung Mercator), Caroline Schmutte (Wellcome Trust) und Georg Schütte (VolkswagenStiftung) in der ZEIT. Die Forderung ist nämlich ein uralter Hut. Seit Ewigkeiten hängt der an den Garderoben der Hochschulen, Unis und zuständigen Ministerien, ohne dass ihn endlich mal jemand (wirklich) aufsetzen möchte. Jetzt hofft man auf die Schubkraft von Corona, wo reihenwiese Fakten in den Shitstorms der selbsternannten Querdenker oder anderer Besserwisser versinken.
Wissenschaftskommunikation als Aufgabe von Forschenden grundsätzlich zu etablieren ist das eine Ding. Ein anderes ist es, „Forscherinnen und Forscher zudem besser auf die Logiken des Medien- und Politikbetriebs, aber auch auf jene in den sozialen Netzwerken vorzubereiten.“ Das zu lesen geht mir runter wie lauwarmes Olivenöl. Seit 2019 ist nämlich genau dies eines der wichtigsten Ziele unseres Kommunikationscoachings, das wir bisher an den Technologie Campus in Freyung, Cham und Teisnach durchgeführt haben. Leider war das Virus kontraproduktiv und hat uns von weiteren Trainings abgehalten. Communicational distancing. 2021 nehmen wir den Faden aber wieder auf – zuerst am ECRI. Wir bleiben dran.
Apropos Eigenlogiken. Ich mache einen kurzen Abstecher in die Politik, das ist aber auch für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler interessant. »Zensur durch Lärm« nennt der ukrainische Journalist Peter Pomerantsev eine Strategie, die autokratische System gerne anwenden, um ihre Gegner zum Verstummen zu bringen. Die Welt wird mit Lügen geflutet, die andere Meinung bzw. die Wahrheit wird einfach zugeschüttet. Mit Massenmedien und sozialen Medien kein Problem. Verschwörungstheoretiker und krude Aktivisten wie die Querdenker agieren im Grunde ähnlich, wenngleich natürlich nicht mit dem gleichen Punch und vergleichbarer Koordination. Sie haben halt keine Staatsmedien im Rücken. Dafür unzählige Trolls und Bots in den sozialen Medien sowie subversiven Meinungsplattformen – die wiederum als Nachrichtenportale getarnt sind. So entsteht auch bei gesellschaftlich relevanten wissenschaftlichen Themen am Ende ein unüberschaubares Wirr-Warr von »Informationen«. Was dabei Fakt und was Fake ist, kann der Laie kaum mehr differenzieren. Und sehr oft sind die Fakes zahlenmäßig stark in der Überzahl. Schließlich stehen dahinter Aktivisten, die in der Regel mit großer Leidenschaft agieren und agitieren. Demgegenüber die Forschenden, die entweder keine Zeit und Lust für Kommunikation haben oder sich einfach nicht im Streit mit den Agitatoren aufreiben wollen. Was verständlich ist und irgendwie eh keinen Sinn macht. Zurück bleibt wie gesagt der Laie, der zwar interessiert ist, aber eben auch lost.
Wie das in der Politik gehen kann, zeigt ein Exempel aus der Geschichte um den russischen Oppositionellen Alexej Nawalny. Eine unbekannte russische Quelle fabuliert, dass westliche Geheimdienste Nawalnys Frau als Oppositionsführerin installieren wollen. Analog zu Swjatlana Zichanouskaja in Belarus. Eine Lüge, ein Fake. Der Text wird maschinell – man gibt sich da keine große Mühe – ins Deutsche übersetzt und erscheint dann erstmals auf einer deutschsprachigen Nachrichtenwebseite. Diese agiert ohne Impressum und alles, was Webseiten so haben müssen. Rund 40 russische Medien nehmen nun diese »Nachricht aus Deutschland« auf und füttern damit Millionen von Russinnen und Russen. Selbstverständlich auch über Twitter und Co. Die Website verschwindet anschließend so schnell, wie sie gekommen war. Die Lüge jedoch ist in der Welt und zwar mit enormer Reichweite. Das Verschwinden der Webseite erklärt man in Russland mit angeblich ausgeübtem Druck der Bundesregierung – was wiederum einem Schuldeingeständnis gleichkomme. Ist es denn zu fassen. An Dreistigkeit nicht zu toppen. Nicht immer geht es natürlich so professionell zu beim Faken wie in diesem Fall. Lehrreich finde ich die Geschichte dennoch. Es ist schwierig geworden zu trennen, zwischen Gut und Böse und dem dazwischen.
Woher ich das übrigens alles weiß? Aus der Zeitung. So what? Auf irgendeine Instanz muss man sich schließlich verlassen. Und es gibt da zum Glück ein paar solcher Instanzen in Deutschland, die dieses Vertrauen sicherlich rechtfertigen.
In diesem Sinne, sprecht miteinander, nicht übereinander.
Euer Jörg
Jörg Kunz ist promovierter Biologe und PR-Experte mit vielen Jahren Erfahrung in Agentur und Industrie sowie in Expertenorganisationen wie Krankenhaus oder Hochschule. In seinen Blogbeiträgen wirft er einen persönlichen Blick auf aktuelle Ereignisse und betrachtet diese aus der Sicht der Kommunikation bzw. im speziellen aus Sicht der Wissenschaftskommunikation.