Ich starte wieder gut gelaunt in die neue Arbeitswoche. Als erstes steht das tägliche Meeting mit meiner Abteilung auf dem Programm. Heute habe ich auf die Frage wie es mir geht endlich das lang erwartete Update: ich bin negativ! Das Team freut sich über die Nachricht und alle sind sichtlich erleichtert darüber. Nachdem wir die anfallenden Tätigkeiten für diese Woche besprochen haben, mache ich mich über mein E-Mail-Postfach her.
Kurze Zeit später rufe ich eine Kollegin an, um mit ihr eine anstehende Social-Media-Aktion zu besprechen. Als wir am Telefon so reden, lässt sie nebenbei etwas von einem Lockdown fallen. Ungläubig, ob ich mich denn da etwa verhört habe, frage ich nochmal genauer nach. Sie meint nur, dass der Landrat das am gestrigen Sonntag schon halb angekündigt hat über seinen Facebook-Account und dass es ja kein Wunder sei, nachdem wir jetzt ja die „Corona-Liste“ wieder als deutschlandweite Nummer 1 anführen. Erstaunt und geschockt über dieses Update kann ich nicht anders als laut „Wie bitte, was?!“ in den Hörer zu rufen. Meine Kollegin erklärt mir, dass die Zahlen übers Wochenende wieder brutal angestiegen sind und wir jetzt mit einem Inzidenzwert von 260 die Berchtesgadener überholt haben. Ich kann es gar nicht glauben und die Kollegin merkt es mir sofort an. „Du hast dich das Wochenende über aber wirklich gut abgeschottet und hast dich echt von allen Neuigkeiten ferngehalten“ meint sie mit einem Schmunzeln. Ja, das fasst mein Wochenende tatsächlich gut zusammen. Als ich am Freitag das letzte Mal die Zahlen gegoogelt habe, waren wir noch bei einem Inzidenzwert von 137, also knapp der Hälfte von heute. Wir widmen uns wieder dem Arbeitsthema, wegen dem ich sie eigentlich angerufen hatte, als sie mich plötzlich unterbricht. Soeben kam die Nachricht, dass der Lockdown im Landkreis tatsächlich kommen soll und der Landrat um 15 Uhr eine Pressekonferenz angesetzt hat. Dass es jetzt so schnell geht schockiert uns beide. Mit diesem Update im Kopf lege ich kurz darauf auf.
In meiner Mittagspause entdecke ich in der hintersten Ecke meines Küchenschranks eine alte Flasche Rotwein, einen Zweigelt von 2008. Der ist garantiert nicht mehr trinkbar. Also beschließe ich kurzerhand damit heute Abend eine Tarte au Vin zu backen. So habe ich wenigstens etwas um mich zu freuen, nachdem ich heute schon so schockierende Nachrichten bekommen habe. Da ich dafür einen Gelierzucker brauche, den ich aber nicht im Haus habe und meine Quarantäne noch bis morgen Mitternacht andauert, schicke ich meinem Bruder eine Nachricht, dass er bitte für mich Einkaufen fahren soll und mir den Gelierzucker bringen soll.
Der Nachmittag vergeht wie üblich mit Arbeit und dem kleinen Nachmittagstief gegen 15 Uhr. Genau die richtige Zeit also um mir einen Espresso zu machen und mal kurz die Pressekonferenz des Landratsamtes anzuschauen. Dass zu Beginn schon die Schuld an unserer Lage den österreichischen Nachbarn in die Schuhe geschoben wird ärgert mich ziemlich und ich bin froh meinen Espresso zu haben, der mich mit seinem unglaublich guten Duft wieder zurück auf den Teppich bringt. Der Rest der Konferenz wird nicht besser und ich schalte nach 5 Minuten wieder ab und fokussiere mich auf die Arbeit.
Kaum dass ich den Laptop ausgemacht und den Feierabend eingeläutet habe, klingelt es an der Tür. Das muss mein Bruder mit dem bestellten Gelierzucker sein. Also kippe ich wieder das Fenster, das am nächsten zur Haustüre ist, um mich kurz für die Lieferung bedanken zu können und ein paar Worte mit ihm zu wechseln. Auch er hat die Pressekonferenz gesehen und macht seinem Ärger darüber Luft. Als wir beide fertig mit Schimpfen und Kopfschütteln sind, stellt er den Zucker vor meiner Türe ab und macht sich auf den Heimweg.
Die Aussicht auf eine leckere Tarte au Vin hebt meine Laune wieder. Ich fange als erstes mit dem Rotweingelee an und schon bald riecht die ganze Wohnung nach Glühwein. Ich muss an Christkindlmarkt und Minidonuts, die gönne ich mir dort immer, denken. Kann sein, dass es am Duft des einkochenden Weines liegt, oder einfach an der körperlichen Betätigung, aber als ich den Teig knete und später die Äpfel schneide, bin ich super gelaunt und pfeife vor mich hin. Lockdown, Pressekonferenz und Corona spielen gerade gar keine Rolle mehr für mich.
Als ich die fertige Tarte zum Abkühlen auf die Anrichte in der Küche stelle, ist es schon super spät. Ich bin mittlerweile auch etwas fertig und brauche Zeit die Ereignisse und Neuigkeiten des Tages zu verarbeiten. Also setze ich mich mit einer Tasse Tee auf die Couch und schaue mir zur Ablenkung eine Dokumentation über Oscar Wilde’s „Das Bildnis des Dorian Gray“ an. Danach läuft noch eine Philosophie-Sendung über Hedonismus. Während der Moderator sich mit verschiedenen Wissenschaftlern, Philosophen, Unternehmern und sogar mit einem Rapper über das Streben nach Sinneslust und wie uns das am besten gelingt, unterhält, schweifen meine Gedanken ab. Wie beeinträchtigt die aktuelle Lage, besonders der Lockdown uns und wie hält er uns von einem hedonistischen Lebensstil ab, frage ich mich. Da ich darauf so schnell keine Antwort finde und gerade auch zu fertig bin, um mich weiter eingehend mit dieser Frage zu beschäftigen, hole ich mir ein Stück der mittlerweile abgekühlten Tarte au Vin.
Beim ersten Bissen des Kuchens kann ich nicht umhin vor Gaumesfreude laut zu stöhnen. Ist ja eh egal, denn ich bin alleine in der Wohnung. Die Tarte ist so gut geworden, dass ich einfach die Augen schließe und die Gewürze und Aromen in meinem Mund in vollen Zügen genieße. Als ich die Augen wieder öffne und mein Blick zurück auf die Sendung im Fernseher fällt, ist mir klar, dass es für mich im Grunde nicht mehr braucht, als meine Wohnung, eine bequeme Couch und gutes Essen. Alles was ich in den Tagen der Quarantäne also eh schon immer um mich hatte. So einfach geht also Hedonismus. Mit dieser Erkenntnis lasse ich mich kurz darauf in mein weiches, bequemes Bett fallen.
Miriam
Miriam Bleck lässt ihrer Liebe zum Schreiben in der Pressestelle der THD freien Lauf. Meistens ist sie am European Campus in Pfarrkirchen oder bei ihrem Lieblingsitaliener anzutreffen. Wenn sie nicht gerade mit Kochen oder Essen beschäftigt ist, schreibt sie über aktuelle Themen, Persönliches und alles was ihr sonst so durch den Kopf geht.