Jetzt ist schon wieder was passiert. Eine Randnotiz, aber interessant. Kann Spuren von Ironie enthalten. Pass auf: Letzte Woche waren wir mit Prof. Wolfgang Dorner in Deggendorf. Drei Stunden Science Bench, mit den Bürgern sprechen. Über Energiewende und so. Und ob du es glaubst oder nicht, es ist uns nicht gelungen, auch nur eine einzige Frau auf die Bank zu setzen. Nicht eine. Also keine. Stattdessen das hier: „Energiewende? Naa, des is ea wos fia mein Mo!“ Oha! Das hätte ich mir nicht gedacht. Männersache, oder was? Du merkst schon, worauf ich einmal mehr hinaus will…
Lieber nicht
Naja, genau betrachtet ahnst du bestimmt, dass die Frauen in der Fußgängerzone da vielleicht ein bisschen geschwindelt haben. Und schon gleich gar nicht repräsentativ die Sache. Aber irgendwie trotzdem typisch, weil eines musst Du wissen: Es ist gar nicht so einfach, Frauen Öffentlichkeit zu verschaffen. Nicht, weil es keinen interessiert. Sondern, weil Frauen das oft einfach nicht wollen. Die wollen nicht auf die Science Bench und auch nicht in ein Hochschulvideo. Könnte Schüchternheit sein. Oder (falsche) Bescheidenheit. Oder einfach die Angst sich zu exponieren. Weil in Zeiten von Social Media und globaler Visibilität im Internet natürlich auch gleich potenzielle Zielscheibe für alle möglichen Spinner. Maskulinum, nicht unbedingt generisch. Gerne anonym oder hinter vorgehaltener Hand. Wenn du da als Frau mit Kritik an Kleidung oder Aussehen davonkommst, fast schon Hauptgewinn. Ergo: Lieber nicht.
Wut statt Mut
Aber schau, das ist auch interessant. 59 Prozent der Frauen in Deutschland lehnen eine genderneutrale Sprache in Radio, Zeitung oder TV ab. Und 71 Prozent der Männer. Der „Tatort“ am Sonntagabend gegendert und schon ab 20.25 Uhr der ARD-Thread auf FB, frage nicht. Mehr Mord und Todschlag als im Krimi. Da bekommst du dann erst richtig Angst. Weil, das ist in echt. Schon verstörend, dass die Leute Dinge, die sie nicht mögen, nicht einfach mal ignorieren können. Wenn schon nicht akzeptieren. Nein, da muss gleich eine Beschimpfung her. Oder schlimmeres. Aber versteh mich nicht falsch. Männer (und manche Frauen) drohen auch Männern. Zum Beispiel, wenn ein Kinderarzt offen bekennt, dass er Kinder gegen Covid-19 impft. Oder wenn zwei Gründer Frauenhygieneartikel auf den Markt bringen wollen. Da musst du heute schon ein wenig um dein Leben fürchten. Weil Wut auf alles. Und Geschlechtergerechtigkeit quasi Kulturuntergang. Aber witzig. Mein Junge, acht Jahre alt, fragt letztens: „War eigentlich schon mal ein Mann Bundeskanzler?“ Da musste ich dann doch grinsen. Für ihn Frau auf dieser Position praktisch normal. Mann eher unwahrscheinlich. Warum auch nicht.
Frau und Maschine
Und jetzt noch etwas zum Schluss. Verblüffend. Bei meiner Bildsuche für diesen Blogbeitrag tippe ich die Begriffe „FRAU MASCHINE“ in die Tastatur. Du musst wissen, ich lese gerade „Nomadland – Surviving America in the Twenty-First Century“ von Jessica Bruder. Vor meinem geistigen Auge deshalb Workamper, die in North Dakota mit schweren Maschinen für American Crystal Sugar die Ernte einbringen. Und dann das. Ob du es glaubst oder nicht, erster Bildvorschlag auf meinem Screen: FRAU an einer NähMASCHINE. Keine Erntemaschine. Kein Industrieroboter. Eine Nähmaschine. (Ein) Frauenbild, quasi. Immer noch. Zeit, weiter daran zu arbeiten. Am liebsten gemeinsam und friedlich.
In diesem Sinne, sprecht miteinander, nicht übereinander.
Jörg
Jörg Kunz ist promovierter Biologe und PR-Experte mit vielen Jahren Erfahrung in Agentur und Industrie sowie in Expertenorganisationen wie Krankenhaus oder Hochschule. In seinen Blogbeiträgen wirft er einen persönlichen Blick auf aktuelle Ereignisse und betrachtet diese aus der Sicht der Kommunikation bzw. im speziellen aus Sicht der Wissenschaftskommunikation.