Christian Drosten. Der Mann hat in Deutschland vermutlich einen Bekanntheitsgrad erreicht, wie es sonst nur koffeinhaltige Brause aus Atlanta kann. Er steht nicht nur für weltweit führende Naturwissenschaft, sondern inzwischen eben gerade auch für deren breite Kommunikation in die Politik und die Gesellschaft. Alles andere als ein Zuckerschlecken, wie wir gesehen haben. Aber wichtig. Enorm wichtig. Anfang Juni hat der Virologe von der Berliner Charitè ein Interview gegeben. Bei »Republik«, einem Schweizer Digitalmagazin für Politik, Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur. Neben einigen sehr erhellenden Antworten auf die Frage, woher das Virus wohl (tatsächlich) sei, liefert Drosten ein interessantes – wenngleich für Insider nicht gänzlich überraschendes – persönliches »Geständnis«: „Wie die Medien funktionieren, das wusste ich (damals) nicht.“
Gefordert, aber nicht gefördert
Das Problem ist bekannt. Die Politik stellt Forderungen. Die Projektträger auch. Wissenschaftskommunikation soll (jetzt) dazu gehören. Ein Must-have, um zukünftig an wohl finanzierte Forschungsprojekte zu gelangen. Denn Wissenschaft ist ja kein Selbstzweck. Die Milliarden fließen, aber Politik und Gesellschaft wollen auch Ergebnisse sehen. Sie wollen mitreden und sie wollen Teilhabe. Blöd nur, dass niemand den jungen Forscherinnen und Forschern sagt, wie das genau geht mit der Kommunikation. Woher sie die Zeit dafür nehmen sollen. Welche Tools man einsetzen kann, welche Formate wo funktionieren. Welche unterschiedlichen Zielgruppen es gibt und wie ich diese erreichen kann. Und jetzt Achtung, Spoiler: Ein Tag der offenen Tür ist nicht genug.
Peer-to-Peer ist anders
OK, sind wir ein wenig gnädig. Es gibt das Nationale Institut für Wissenschaftskommunikation (NaWik) oder die Plattform wissenschaftskommunikation.de, wo man tolle Informationen und Inspirationen abgreifen kann. Das ist wunderbar, kann aber eine institutionelle Verankerung der Wissenschaftskommunikation im Hochschulbetrieb bzw. in der Forschung nicht ersetzen. Denn ja, selbst ein internationaler Spitzenwissenschaftler wie Christian Drosten, der selbstverständlich unzählige Publikationen nachweisen kann, Posterbeiträge und Kongressvorträge, der also auf Peer-to-Peer-Level Wissenschaftskommunikation par excellence betreibt, muss einräumen: „Wie die Medien funktionieren, das wusste ich nicht.“
Hinterm Vorhang geht’s weiter
Jetzt ist es ja so, dass man als Marketer oder PRlerin gerne mal belächelt wird. Klar, ist ja alles pille palle im Gegensatz zu »was auch immer«. Geschenkt. Die Wahrheit ist: Natürlich ist unser Job keine Raketenwissenschaft. Aber auskennen muss man sich halt trotzdem. Und deshalb mag ich, was Drosten da gesagt hat. Weil es – neben dem Tag der offenen Tür, aber das erwähnte ich schon – auch nicht reicht, einen Pressetext schreiben oder vielleicht ein passables Interview geben zu können. Wie so oft im Leben gibt es nämlich Dinge behind the scenes, die nicht ganz ohne Belang sind. In unserem Fall, wie die Anderen im Boot so ticken. Und im Boot sitzen neben der Politik eben die Medien. Nicht zu vergessen, das kommunikative Anything goes, die so called Social Media. Dasjenige Dystopia, wo alle gemeinsam – oder besser gegeneinander – unterwegs sind. Alle Genannten folgen in diesem Spiel unterschiedlichen Eigenlogiken (siehe auch Blogbeitrag „Zensur durch Lärm“). Eigenen Zielen. Eigenen Interessen.
Medienlogik
Grundsätzlich und prinzipiell dient der Journalismus natürlich der Informationsvermittlung und hat eine wichtige Kritik- und Kontrollfunktion. Er ist die »Vierte Macht im Staat«, unerlässlicher Teil einer funktionierenden Demokratie. Aber bei allem Guten, von dem wir selbstverständlich ausgehen, sehen wir schon auch, wie die Medien sich inzwischen ökonomisiert haben. Beziehungsweise, welchen ökonomischen Zwängen sie unterliegen. Denkt an die Washington Post, eine der wichtigsten Tageszeitungen der USA. Gehört seit 2013 dem Amazon-Gründer Jeff Bezos. Einen Gegenentwurf stellt pikanter Weise eben jenes Medium dar, aus dem ich Christian Drosten anfangs zitiert habe, »Republik«. Komplett werbefrei und „vollkommen transparent“, wie die zugehörige Webseite sagt. Finanziert von „über 28.000 Mitgliedern und Abonnentinnen.“ Das nur am Rande, aber beim Thema Eigenlogik nachvollziehbarer Weise nicht uninteressant. Also, es ist im Allgemeinen so: Medien springen auf das Besondere an. Auf das, was von der Norm abweicht. Sie lieben Kontroversen und sie skandalisieren natürlich gerne. Nach einer gewissen Zeit werden Gegenthesen automatisch interessant. War schon immer so, mit den Sozialen Medien und dem damit verbundenen Medienverhalten, hat sich das aber deutlich zugespitzt. Wem das als Bashing erscheinen mag, ist es nicht. Einerseits müssen Medien zum Überleben eben einem Geschäftsmodell folgen, zum anderen adressieren sie selbstverständlich auch die Eigen- bzw. die Aufmerksamkeitslogik ihrer Konsumenten. Ihrer Rezipienten, Leserinnen, Zuschauer, Hörerinnen. Also von uns allen. Hans Rosling (»Factfulness«) spricht vom „Instinkt der Angst“. Der wird gerne befeuert. 24/7. Again: Es geht nicht darum zu moralisieren, sondern darum zu verstehen und richtig zu handeln. Oder zumindest zu wissen, was auf einen zukommt. Wie gesagt, auch eine wissenschaftliche Koryphäe wie Drosten war da offensichtlich naiv. Denn das, was da kam, war bisweilen mehr als heftig.
»False Balance«
Ein weiteres wichtiges Phänomen, das Drosten ebenfalls in jenem Interview erwähnt und somit auf den Radar gebracht hat, möchte ich hier auch noch einmal herauspicken. Die »False Balance«. Ich hatte mich damit schon in einem älteren Blogbeitrag im Herbst 2020 auseinandergesetzt (siehe „Sonne der Wahrheit“). 2018 waren Mitarbeiterinnen der britischen BBC angewiesen worden, keine Klimaleugner mehr in die Berichterstattung aufzunehmen, weil es für die journalistische Balance, für die Ausgewogenheit, keineswegs erforderlich sei. Kann man so machen. Ist aber halt eher die Ausnahme in der Medienwelt – eben weil »Kontroverse« dann futsch! Normalerweise läuft es anders. Nehmen wir an, da ist eine Meinungsmehrheit, die wird von hundert Wissenschaftlerinnen vertreten. Zwei Wissenschaftler vertreten eine gegenteilige These. In den allermeisten Publikumsmedien kommt dann aus Gründen der inhaltlichen Ausgewogenheit aus jeder Gruppe einer (1) zu Wort. Statt 100 : 2 also 1 : 1. Bei sehr vielen Medienkonsumenten bleibt somit leider hängen: Das Ding ist Fifty/Fifty. Die einen sagen so, die anderen sagen so. Oder anders: So weit, so schlecht. Das eigentliche Problem, meint Drosten, entstehe jedoch erst danach. Weil die Politik – immer auf der Suche nach Konsens und maximaler (Wähler-)Liebe (meine ich) – sagt: „Na ja, dann wird die Wahrheit in der Mitte liegen.“ Drosten hat die dadurch entstandene und sich rasch ausbreitende »False Balance« zu den tatsächlich vorliegenden virologischen und epidemiologischen Erkenntnissen überrascht. Der Virologe räumt ein, er „wusste nicht, dass es dieses Phänomen gibt. Dass ich da durch einen Podcast mitten in dieses Spannungsfeld reingerate, war mir nicht klar.“ In der Tat ist der Kompromiss ein Mittel des politischen Diskurses. Aber sicherlich nur sehr eingeschränkt der wissenschaftlichen Diskussion. Ob die Erde eine Kugel ist oder eine Scheibe, da gibt es kein „einigen wir uns halt in der Mitte“. Natürlich haben in diesem Dilemma die Medien ihr übriges getan, indem sie am Ende die Frage aufwarfen „Sind wir zu wissenschaftsgläubig?“. Wissenschaft ist Erkenntnis, nicht Glaube. Genau hier zeigt sich allerdings die subversive Vermischung von Wissen, Glauben und Meinung, also die Grundlage für Verschwörungstheorien, Spaltung und kommunikative Entgleisung bis hin zur Morddrohung.
WiKo an der THD
In unserem Workshop für Wissenschaftskommunikation für Forschende an der THD geht es genau um solche Dinge. Wir wollen Awareness schaffen, auf Augenhöhe miteinander diskutieren, unterstützen. Unsere Erfahrungen weitergeben und gemeinsam die besten Kommunikationswege und -strategien herausfinden. Wer jetzt denkt, „Pah, bin ja kein Virologe, muss keine Pandemie bekämpfen“, der sollte sich eines vor Augen führen. Auch Moderne Mobilität, Digitalisierung, Künstliche Intelligenz, Automatisierung, DigitalHealth, alternative Energien oder Automatisierung zeigen schon jetzt gravierende gesellschaftliche Veränderungen. Heißt, sie bergen entsprechenden sozialen Sprengstoff. Und genau deshalb sitzen sie alle wieder mit im Boot, wenn es heißt über Forschung, über Fortschritt, über Veränderung zu kommunizieren. Die Politik. Die Gesellschaft. Und die Medien. Besser man kennt dann seine Mitstreiter und potentiellen Widersacher.
In diesem Sinne, sprecht miteinander, nicht übereinander.
Euer Jörg
Jörg Kunz ist promovierter Biologe und PR-Experte mit vielen Jahren Erfahrung in Agentur und Industrie sowie in Expertenorganisationen wie Krankenhaus oder Hochschule. In seinen Blogbeiträgen wirft er einen persönlichen Blick auf aktuelle Ereignisse und betrachtet diese aus der Sicht der Kommunikation bzw. im speziellen aus Sicht der Wissenschaftskommunikation.