Hey, jetzt bin ich schon wieder auf eine interessante Sache gestoßen (worden). Passt auf, es geht um den Klamottenschrank der Generationen mit seinen fein säuberlich getrennten Schubladen. Und dem zugeschriebenen Inhalt. “Das World Wide Web, MP3-Player, SMS, Smartphones, Tablets und natürlich Social Media. Das ist Ihre Generation und gilt zu Recht als die Digital Natives. Digital aufgestellt in allen Lebensbereichen.“ Das steht im Internet beispielsweise über die GenZ. Also über alle die, die zwischen 1997 und 2012 auf die Welt gekommen sind. Da stellt sich die Frage, warum bin ich dann eigentlich kein „Astronoutic Native“? Ein anerkannter Experte für Raumfahrt, in deren heldenhaften Tagen ich geboren und aufgewachsen bin. Warum sind die um 1804 Geborenen nicht die Generation der Eisenbahnexperten? Damals brachte man schließlich die erste Dampflok auf die Schiene.
Merkt ihr selber, da stimmt was nicht. Was hat denn der Geburtstag mit dem Markt-Release bzw. Erfolg von Produkten zu tun? So ziemlich genau nix. Auch wenn es sich vielleicht cool anfühlt, so digital. Insbesondere mit Blick auf die Themen Automatisierung und Digitalisierung, also die Welt von morgen (und heute auch schon), ist es aber schon ziemlich riskant, einfach anzunehmen, „kein Problem, die Jungen sind ja eh alle Digital Natives“.
The kids are online – das ja. Und fast immer. Spätestens ab dem 12. Lebensjahr. 97 von 100. Also quasi alle. Sagt eine internationale Studie[1] vom November 2019. Schade nur, dass lediglich 1,9 Prozent (in Worten: Eins Komma Neun) der 12 bis 15-Jährigen in Deutschland eine hohe Digitalkompetenz haben. Also mit Technikverständnis. Mit der Fähigkeit zur eigenständigen Informationssuche und – einordnung oder Erstellung von Dokumenten und Anwendungen. Das ist nicht wirklich viel. 1,9 Prozent – sagte ich das schon? Ein Drittel der befragten Gruppe besitzt sogar nur einfachste digitale Kenntnisse. Die können ne Mail öffnen, Links anklicken oder Worte in einen Text einfügen. Und fast 43 Prozent der 12 – 15-Jährigen räumen ein, dass sie Hilfe brauchen, um sich in der digitalen Welt zurecht zu finden.
Auch das digitale Sommersemester an der THD hat da übrigens so manches Defizit ans Licht gebracht. Und zwar nicht nur auf dem Felde der virtuellen Lehre. Da wird zwar gerne auf Jodel gebasht, aber Leute, echt jetzt: immer erst die eigene Nase! Ihr seid auch nicht perfekt. Und tatsächlich. Die 14 bis 29-Jährigen in Deutschland schätzen ihre eigenen Fähigkeiten beim Programmieren, Webanwendungen gestalten und Lösen von Computerproblem kaum höher ein, als der Durchschnitt der Bevölkerung. Ein Fazit ist also schnell gemacht: Die digitalen Kompetenzen, die wir für die Gestaltung der Zukunft brauchen, das darf ruhig als gesichert gelten, sie sind leider doch nicht angeboren. Man muss sie sich hart erarbeiten. Auch wenn man zum gleichen Zeitpunkt wie das neue iPhone das Licht der Welt erblickt. Aber OK, dafür gibt es ja schließlich an der THD eine ganze Reihe sehr guter Studiengänge.
Man sieht an den Generationen-Clustern eines ganz wunderbar: Verallgemeinerungen sind was für Denkfaule. Jene Generationenstereotypen letztendlich nur Inszenierungen. Die Generation als Identität, als Kohorte der Verlierer oder eben der Sieger. Boomer, GenX, GenY, GenZ und demnächst wieder GenA. Jugendwahn meets Altersstarrsinn. Lasst euch nicht von dem ganzen Gedöns meschugge machen. Beispielsweise folgt man beim Thema Innovation allzu gerne der Formel „jung = innovativ“. Das stimmt natürlich. In gewisser Weise. Aber um Dinge neu zu gestalten, solche, die echten Impact auf die Gesellschaft haben, braucht man mehr, als nur die große Experimentierfreude den Jüngeren. Man braucht eben auch die große Erfahrung der Älteren. Neugier und Know-How, also. So wird ein Schuh draus, der passt. Übung macht den Meister. Manche Weisheiten überleben halt. Na und, das hat seinen Grund.
Noch ein Gedanke zum Generationenkonflikt: Klima. Klar haben die älteren Generationen auf Teufel komm raus geaast. Aber das BIP in Deutschland hat sich seit 1990 mehr als verdoppelt. Und Wohlstand ist halt auch notwendige Grundlage für hochwertige Bildung. Noch nie waren so viele junge Menschen an Hochschulen und Universitäten eingeschrieben. Wohlstand und Bildung, zwei Säulen, auf denen wir die zweifellos enormen Herausforderungen der Zukunft angehen können und natürlich auch müssen. Am liebsten gemeinsam. Abgrenzung ist da eine ziemlich schlechte Idee. Die Generationen – egal, wie sie nun irgendwo genannt werden – müssen sich gegenseitig ernstnehmen. Dann klappt’s.
Zum Abschluss noch ein interessanter Fakt zum Thema Digital Natives. Junge Menschen beherrschen die digitale Welt? Nein, nein, nein. Das Durchschnittsalter der CEOs der großen Digitalunternehmen liegt bei 56 Jahren. Achtung, Boomer at work. Ausnahme: Mark Zuckerberg. Aber keine Sorge, denkt Euch nichts. Ihr seid die CEOs von morgen. The kids are alright.
In diesem Sinne, sprecht miteinander, nicht übereinander.
Euer Jörg
Jörg Kunz ist promovierter Biologe und PR-Experte mit vielen Jahren Erfahrung in Agentur und Industrie sowie in Expertenorganisationen wie Krankenhaus oder Hochschule. In seinen Blogbeiträgen wirft er einen persönlichen Blick auf aktuelle Ereignisse und betrachtet diese aus der Sicht der Kommunikation bzw. im speziellen aus Sicht der Wissenschaftskommunikation.
Quellen:
[1] Zentrale Ergebnisse der Studie ICILS 2018 – Stillstand in der digitalen Bildung seit 2013? Gesellschaft für digitale Bildung, https://www.gfdb.de/icils-2018/