KI und Medizin. Das Thema rast bei mir quasi wie ein heißes Geschoss direkt in den präfrontalen Cortex. Aber gelegentlich geht’s von da gleich weiter, unmittelbar ins Limbische System. Dort wo unter anderem die Aggressionen ihre Heimat haben. In diesem Blogbeitrag geht es mir um das Thema »Hybris«, denn überhebliche Menschen sind mir irgendwie ein Greuel. Der Hybris sollte niemand verfallen. Wissenschaftler auch nicht, nicht mal zufällig. Denn die Ketzer, äh Hetzer, sind ja eh schon auf der Straße.
Was ist passiert? Da wird ein Biologe und Neurowissenschaftler für einen Ärzte-Newsletter zur Rolle der Künstlichen Intelligenz in der Medizin befragt. Bin ich sofort dabei. Er gibt viele interessante Einblicke in dieses Zusammenspiel etwas neuerer Wissenschaft und deutlich älterer Wissenschaftsanwendung. Das Potential ist unheimlich groß, kein Zweifel. Insofern alles gut. Aber dann kommt die Sprache auf eine App, die im Web liebevoll »Deine Gesundheitshelferin« genannt wird. Und die, keine unwichtige Randnotiz, der Wissenschaftler auch selbst miteinwickelt hat. Die Journalistin will wissen, wie Ärzte auf „so ein System“ reagieren. Bei seiner Antwort mache ich erst mal Augen groß wie Untertassen: „Wer kann es Ärzten verdenken, wenn sie sich von so einer App erstmal infrage gestellt fühlen?“ Wow! Hier schwingt aber Verständnis mit. Wie ein vollbesetztes Gartentrampolin. Ja, klar. Stimmt schon, wer schon kann es ihnen verdenken, den Ärzten? Wenn sie sich nach vielen Jahren eines harten Studiums und noch mehr Jahren in der Klinik oder ihrer Praxis mit Verantwortung für Gesundheit und Leben tausender Menschen plötzlich einer all-mighty App gegenübersehen. Gebt es zu, würde nicht auch euer – Achtung, Zitat – „Selbstverständnis mit Sicherheit erstmal ins Wanken“ geraten? Nein? Ganz ehrlich, bei so viel Selbstgefälligkeit ist selbst bei mir als Nicht-Mediziner der Thermostat volle Pulle aufgedreht. Aber einen hat der Mann noch im Köcher: „Die meisten Ärzte merken sehr schnell, dass das für sie keine wirkliche Bedrohung ist.“ Das ist ja erfreulich. Keine wirkliche Bedrohung, ha!
Aber OK, jetzt mal wieder runter mit den Neuronen von der Rennbahn. Immerhin, der ganze Rest der Interviews klingt schließlich plausibel, sinnvoll und in Richtung einer (noch) besseren Gesundheitsversorgung gewandt, in der sich Medizin und Informatik natürlich die Hand reichen (Ups, sorry, eine wohl überkommene Metapher aus der Vor-Corona-Zeit. Aber so schön nostalgisch, irgendwie). Aus Sicht der Wissenschaftskommunikation bleibt an diesem Beispiel festzustellen, dass man sich in einem Interview immer genau überlegen sollte, was man da zum Besten – oder auch nicht – gibt. In der Regel darf man solche Texte nochmals prüfen, bevor diese publiziert werden. Wie in der Medizin auch, ist eine Zweitmeinung nie verkehrt. Denn Aussagen können manchmal vollkommen unterschiedlich interpretiert werden. Da ist es nicht verkehrt, wenn jemand drüberliest und gegebenenfalls nachhakt, ob eine Aussage tatsächlich so gemeint war, wie sie am Ende dem Betrachter ins Auge sticht. In diesem Fall: Autsch! Aber vielleicht war es ja doch genauso gemeint. Den Medizinern mal so richtig einen reingewürgt. Dann war’s ein Volltreffer. Ich halte immerhin fest: Das gute alte Sender-Empfänger-Modell hat auch in Zeiten von Digitalisierung seinen Geist noch lange nicht aufgegeben.
In diesem Sinne, sprecht miteinander, nicht übereinander.
Euer Jörg
Jörg Kunz ist promovierter Biologe und PR-Experte mit vielen Jahren Erfahrung in Agentur und Industrie sowie in Expertenorganisationen wie Krankenhaus oder Hochschule. In seinen Blogbeiträgen wirft er einen persönlichen Blick auf aktuelle Ereignisse und betrachtet diese aus der Sicht der Kommunikation bzw. im speziellen aus Sicht der Wissenschaftskommunikation.