OK, ich gebe es gleich zu Beginn zu. Ich bin das, was ein wenig despektierlich als „Sprachtraditionalist“ bezeichnet wird. Die Begründung dafür steht eigentlich gleich in der Überschrift. Kann ich nix mit anfangen. Aber ich kann trotzdem auch verstehen, dass es Befindlichkeiten im weiblichen – und genau genommen muss ich selbstverständlich ergänzen, auch im transsexuellen – Lager gibt, die sich nicht grundsätzlich mit einem Generischen Maskulinum abfinden wollen. Sprache sollte nicht ungerecht sein. Aber auch nicht unverständlich. Zwischen diesen beiden Polen liegt meist die Herausforderung. Flexibilität ist gefragt und ein wenig mehr Lockerheit.
What’s the message?
Das sogenannte Gender-x merzt beispielsweise alle grammatikalischen Geschlechtszuordnungen aus, die sich durch die direkten Artikel bei der Verwendung von Partizipformen ergeben. Also zum Beispiel „Dex gutx Studierx“. Eine Autorin auf Alumni-Deutschland.de findet diese Lösung originell. Ich nicht. Und seh-gehandikapte Menschen, die auf Vorleseprogramme angewiesen sind, vermutlich auch nicht. Eine andere Ungerechtigkeit also. Für die Hochschule ist es prinzipiell klar, gendergerechte Sprache zu verwenden, wann immer das möglich ist. Zu Recht. Gerade aus dem MINT Team wissen wir, dass sich Mädchen oft nicht angesprochen fühlen, wenn immer nur von Ingenieuren oder Informatikern die Rede ist. Das wollen wir vermeiden. Und natürlich beeinflusst Sprache unser Denken und Handeln. Aber wie gesagt, Sprache muss vor allem und in erster Linie Inhalte transportieren und dabei auf den Punkt und verständlich sein. Wenn ich im Stellenportal eine Ingenieurin oder einen Ingenieur (oder jemanden in between) suche, sollte ich das auch expressis verbis so drüberschreiben. Wenn ich sagen will, dass der Lauftreff für alle Studierenden ist, dann verwendet ich diese Partizipform oder schreibe eben tatsächlich „Studentinnen und Studenten“ aus. Wenn ich aber beispielsweise in einem Pressetext vermitteln will, dass an einem Forschungsprojekt viele unterschiedliche wissenschaftliche Disziplinen beteiligt sind, dann bediene ich (sic) mich tatsächlich des generischen Maskulinums. Weil dann nicht weiblich oder männlich oder dazwischen die Botschaft ist, sondern die Disziplin. Schauen wir einfach mal drauf: „Die aktuelle Coronakrise kann nur interdisziplinär bewältigt werden. Alle müssen ins Boot. Politikerinnen und Politiker, die Industrie, Soziologinnen und Soziologen, Biologinnen und Biologen, Virologinnen und Virologen, Epidemiologinnen und Epidemiologen, Medizinerinnen und Mediziner, Pflegewissenschaftlerinnen und Pflegewissenschaftler, Landwirtinnen und Landwirte sowie Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter.“ Das sind sagenhafte 419 Zeichen, also fast doppelt so viele wie wenn ich das generische Maskulinum verwende. Und schön, schön ist das auch nicht. Ganz ehrlich, wer will solche Texte lesen? So klingt das dann genderneutral: „Die aktuelle Coronakrise kann nur interdisziplinär bewältigt werden. Alle müssen ins Boot. Die Politik, die Industrie, die Sozialwissenschaften, die Biologie, die Virologie, die Epidemiologie, die Medizin, die Pflegewissenschaft, die Landwirtschaft und die Gewerkschaften.“ Naja, technokratisch halt. Blutleer, aber gerecht. Als Alternative sicherlich eine Option.
Das Damenfahrrad bleibt herrenlos
Tatsächlich hat mich die Beschäftigung mit dem Thema aufmerksam gemacht. Und wer etwas mehr mit mir persönlich zu tun hat, weiß, dass die Stimme aus dem Off immer wieder augenzwinkernd dazwischen geht: „… und Wissenschaftlerinnen!“ „…und Bürgerinnen!“ „…und Mitarbeiterinnen!“ Keineswegs ist es so, dass ich da die Männer ansprechen muss. Es sind sehr oft Frauen, die sich nicht an die Regel halten. Die allermeisten, weil es Ihnen egal ist. Auch die neue Präsidentin der DFG, Prof. Dr. Katja Becker, verwendet in einem ZEIT Interview zu ihrem Amtsantritt fast ausschließlich das generische Maskulinum. Wie überhaupt die Medien: Ich habe mal verschiedenste Texte aus FAZ, Süddeutscher und ZEIT einem kleinen Gender-Check unterzogen. Gendergerechtigkeit? Fehlanzeige. Aber ich unterstelle dabei mal, dass es sicherlich nicht aus Respektlosigkeit geschieht. Einmal habe ich in einem FB-Post „Ärztinnen und Pfleger“, „Managerinnen und Arbeiter“, etc. geschrieben. Ich wollte hervorzuheben, dass ich nicht nur alle Personen im jeweiligen Umfeld meine, sondern, dass durchaus auch die Frauen der Ober und Männer der Unter (spielkarten-basierte Metapher, bayrisch eingefärbt und voll maskulin; darf ich das? Ich tu’s einfach) sein können. Prompt hab‘ ich von einer Frau ein Herz (wie niedlich) und von einer anderen Frau inhaltliche Zustimmung, aber eben wegen der Länge auch Unleserlichkeit attestiert bekommen. Beim Checken der THD-Podcasts, wie oft habe ich da „Studenten“ durch „Studierende“ ersetzt? Ungezählt oft! Man (oder Frau) kann es nicht jedem oder jeder recht machen, mit der Gerechtigkeit. Aber versuchen sollte man es immer. Ich selbst stehe auf beiden Seiten. Wer’s nicht glaubt: 3, 2, 1… Shitstorm! Naja, klar, Kackthema – findet meine Frau.
In diesem Sinne, sprecht miteinander, nicht übereinander.
Euer Jörg
Jörg Kunz ist promovierter Biologe und PR-Experte mit vielen Jahren Erfahrung in Agentur und Industrie sowie in Expertenorganisationen wie Krankenhaus oder Hochschule. In seinen Blogbeiträgen wirft er einen persönlichen Blick auf aktuelle Ereignisse und betrachtet diese aus der Sicht der Kommunikation bzw. im speziellen aus Sicht der Wissenschaftskommunikation.