Schlaflose Nächte bereiten dem Virologen Christian Drosten vor allem Mails von Leuten, die sagen, sie „haben drei Kinder und machen sich Sorgen um die Zukunft“. Das sei für den 48-Jährigen schlimmer als die Morddrohungen.
„Ich erhalte Morddrohungen“, sagt Christian Drosten im Interview mit dem britischen Guardian. Klar, dass einem in diesen Tagen, Wochen und Monaten von Zeit zu Zeit eine gewisse Virologen- und Epidemiologen-Allergie befällt. Aber Morddrohungen sind wohl inzwischen ein »normales« Phänomen unserer vollkommen überhitzten Empörungsgesellschaft. In meinem Blog-Beitrag vor zwei Wochen hatte ich das tatsächlich noch nicht so auf dem Schirm. Das Beispiel zeigt außerdem auf sehr drastische Weise, dass Wissenschaftskommunikation stets mit einer mehr oder weniger großen Exposition der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler einhergeht. Im Guten wie im Schlechten.
Schlechte Nachrichten überbringen – noch nie ein Traumjob
Schon der griechische Dichter Sophokles hat in seiner Tragödie »Antigone« (Uraufführung 442 v. Chr.) festgestellt, dass niemand denjenigen liebt, der schlechte Nachrichten überbringt. Von Erschießen war da (natürlich) noch nicht die Rede. Das hat dann erst Shakespeare in seinen Theaterstücken »Heinrich IV« (1595/96) und »Antonius und Cleopatra« (1607) in die Welt gebracht. Heute sagt das leider jeder Depp.
Hass und Preise
Dass in der aktuellen Corona-Situation die Naturwissenschaftler das Geschehen maßgeblich (mit)bestimmen, liegt sicherlich nicht an ihnen persönlich. Zu keinem Zeitpunkt gab es die Aussage: „So und nicht anders!“ Sie erklären lediglich aus ihrer wissenschaftlichen Perspektive und leiten daraus Empfehlungen für Politik und Gesellschaft ab. Entscheiden tut die Politik. Nicht die Wissenschaft. Dennoch bilden die Wissenschaftler als inzwischen prominente Personen eine einfach zugängliche Projektionsfläche für Kritik, Hass und anscheinend jetzt sogar Tötungsphantasien. Dabei hat Christian Drosten gerade erst von den Präsidien von DFG und Stifterverband den »Sonderpreis für herausragende Kommunikation der Wissenschaft in der Covid19-Pandemie« erhalten.[1] So unterschiedlich sind die Wahrnehmungen. Wer sich ein wenig intensiver mit der Wissenschaftskommunikation des Klimawandels beschäftigt, wird sehen, dass es dort nicht anders ist. Wüste Beschimpfungen, Diffamierungen, Morddrohungen. Die digitale und anonymisierte Kommunikation macht’s möglich. Man hat sich dort – im Gegensatz zu den Virologen – schon daran gewöhnt.
Auf der guten Seite
Was nehmen wir aus dieser ziemlich traurigen Anekdote mit? Der Transfer von Wissen in die Gesellschaft (und nicht nur in die Science-Community), die Wissenschaftskommunikation, ist ein wesentlicher Teil der Aufgabe jedes Wissenschaftlers und jeder Wissenschaftlerin. Es ist für die Gesellschaft wichtig zu verstehen, wie, wo und wann die Forschung Teil der Lösung ist. Manchmal wollen wir Menschen das nicht hören. Weil es uns Freiheiten nimmt, weil es uns Geld kostet, weil es Wandel mit sich bringt. Was früher dazu am Stammtisch kommentiert wurde, geht heute via Social Media viral (um im Kontext zu bleiben) in die ganze Welt. Das darf die Wissenschaft aber nicht davon abhalten, zu kommunizieren. Das muss die Wissenschaft aushalten. Und das kann sie auch. Denn sie steht auf der guten Seite.
In diesem Sinne, sprecht miteinander, nicht übereinander.
Euer Jörg
Jörg Kunz ist promovierter Biologe und PR-Experte mit vielen Jahren Erfahrung in Agentur und Industrie sowie in Expertenorganisationen wie Krankenhaus oder Hochschule. In seinen Blogbeiträgen wirft er einen persönlichen Blick auf aktuelle Ereignisse und betrachtet diese aus der Sicht der Kommunikation bzw. im speziellen aus Sicht der Wissenschaftskommunikation.
Quellen:
[1] https://www.dfg.de/gefoerderte_projekte/wissenschaftliche_preise/sonderpreis_covid19