Das COVID-19 Drama nimmt seinen Lauf. Auch in der Kommunikation. Erst waren die Virologen am Drücker, danach die Politiker. Jetzt rückt ein kunterbunter Haufen Verwirrter in den Fokus der Berichterstattung. Halt, so darf man sie nicht nennen. Man muss die Wutbürger ernst nehmen, denn sonst werden sie noch wütender. Das belegen inzwischen sogar soziologische Studien. Wir sollten nicht den gleichen Fehler begehen wie mit Pegida, heißt es. Das fällt nicht immer leicht. Aber besser ist das. Unbedingt.
Alles nur „Plandemie“? Stuttgart, München, Berlin – drei Hot-Spots des zweiten Mai-Wochenendes. Aber weniger neuer Sars-CoV-2 Infektionen (oder vielleicht doch – in zwei Wochen werden wir da mehr wissen), als vielmehr des Aufstands gegen die „Plandemie“. Denn klar, Corona ist nur Teil einer geheimen Agenda zur Übernahme der Weltherrschaft. Angeblich ganz vorne mit dabei: Bill Gates, der böse Impffanatiker, quasi ein Superschurke. Aus #stayathome ist für diese wilde Mischung aus Linken und Rechten, Besorgten und Sorglosen, Impfgegnern und allgemeinen Verschwörungstheoretikern inzwischen #stayawake geworden. Und auch die deutsche B-Prominenz ist schon länger in Verschwöristan unterwegs. Wie hieß es kürzlich so schön: „Egal, wie voll die Schwurbelkiste schon ist. Xavier kann immer noch was Naidoo.“ Beweise für eine geheime Verschwörung gegen die Menschheit gibt es freilich keine. Aber genau das ist ja der Beweis! Sonst wäre es ja keine geheime Verschwörung. Ziemlich clever, oder!?
Verschwöristan ist ein schwieriges Pflaster
Man denkt jetzt vielleicht: OK, müsste ja leicht mit Fakten zu entkräften sein, die Sache. Aber so einfach ist das nicht. Eigentlich ganz und gar nicht. Tatsächlich haben Studien gezeigt, dass neue Informationen im Gehirn anders verarbeitet werden, wenn sie Dingen widersprechen, von denen wir so richtig fest überzeugt sind. Intuitiv wird zunächst gecheckt, ob die Quelle überhaupt glaubwürdig ist. Und da ist sie schon, die erste unüberwindbare Hürde: Quelle sind ja in der Regel die Mainstream-Medien oder eben Wissenschaftler, die bei wem-weiß-ich-denn auf der Pay-Roll stehen. Außerdem werden sofort Gegenargumente aufgerufen, die natürlich aus kompetenten und glaubwürdigen Quellen kommen. In diesem Fall zum Beispiel X. Naidoo, A. Hildmann, et al. 2020. OK, das war jetzt ein wenig böse. Und genau das sollte man ja nicht sein. Denn je stärker sich die Betreffenden angegriffen fühlen, umso stärker manifestieren sich ihre Überzeugungen.
Weiter, immer weiter
Es gibt Wissenschaftler, die haben es aufgegeben, mit Leuten zu reden, die notorisch Fakten verweigern. Das kann man verstehen. Gut ist es dennoch nicht. Denn zu denen, die absolut gegen etwas sind, gesellen sich nicht selten diejenigen, die nicht genau wissen, wo es lang geht. Die von der Komplexität einer Thematik verwirrt und überfordert sind. Die einfach nur Angst vor etwas haben, das außerhalb ihrer Kontrolle liegt. Sicher auch in Stuttgart, München und Berlin am Wochenende. Genau diese Menschen darf man keinesfalls kampflos den Verschwörungstheoretikern und Aluhutträgern überlassen. Es gilt, Komplexität ins leicht Verständliche zu reduzieren. Und dort, wo wenige und simple Informationen nicht ausreichend bzw. möglich sind, auch mal mit persönlichen Erzählungen zu überzeugen. Das ist zusätzlicher Aufwand in der Wissenschaftskommunikation. Aber es kann nicht nur von uns erwartet werden, sondern sollte auch eine fixe intrinsische Motivation sein. Dann können wir die wenigen verbliebenen Spinner auf den Stadtplätzen auch besser aushalten.
In diesem Sinne, sprecht miteinander, nicht übereinander.
Euer Jörg
Jörg Kunz ist promovierter Biologe und PR-Experte mit vielen Jahren Erfahrung in Agentur und Industrie sowie in Expertenorganisationen wie Krankenhaus oder Hochschule. In seinen Blogbeiträgen wirft er einen persönlichen Blick auf aktuelle Ereignisse und betrachtet diese aus der Sicht der Kommunikation bzw. im speziellen aus Sicht der Wissenschaftskommunikation.