„Das ist so umständlich.“ „Die deutsche Sprache wird verunstaltet.“ „Das ist mir, als Frau, doch egal ob nur die männliche Form angewendet wird.“ Alles Aussagen gegen eine gendergerechte bzw. genderneutrale Sprache – besser gesagt, nur ein kleiner Ausschnitt der Aussagen, die ich mich veröffentlichen traue und die keinen persönlichen Angriff gegen mich darstellen. Am meisten ärgern mich Aussagen die implizieren, dass mir (die deutsche) Sprache nicht wichtig wäre. Im Gegenteil!
Sprache schafft aktiv Frames
Sprache steht im Mittelpunkt meiner Arbeit. Ich bin nämlich kritische Psychologin und Diskursforscherin. Ich sehe mir also genau an, wie bestimmte Diskurse, also der Sprachgebrauch in Gesellschaften oder Institutionen, verschiedene in der Gesellschaft kursierende „Wahrheiten“ produzieren und reproduzieren. Oder wie Personen(gruppen) in der Gesellschaft mit- oder gegeneinander positioniert und damit Machtverhältnisse geschaffen und geändert werden. Sprache ist kein passives Instrument, mittels dessen wir unsere Gedanken widerspiegeln. Sprache ist aktiv und produktiv. Wenn zum Beispiel im täglichen Miteinander wie auch in den Medien immer positiv von Gewichtsabnahme gesprochen wird, produzieren wir damit in der Gesellschaft die allgemein akzeptierte „Wahrheit“, dass Gewichtsabnahme stets positiv und auch moralisch gut sei. Ja, dass sie schon fast eine Bürgerpflicht ist, um das Gesundheitssystem nicht zu belasten. Aber wir müssen uns nur die steigende Prävalenz von Essstörungen ansehen, um zu wissen, dass das Thema um einiges komplexer ist und diese exklusiv „positive Wahrnehmung“ von Gewichtsabnahme so nicht weiterverbreitet werden sollte. Mein Buch („Fat Lives“) und eine Vielzahl von wissenschaftlichen Artikeln legen dar, wie wir mit diesen Diskursen Menschen, die nicht unserem Schlankheitsideal entsprechen, oder junge Menschen, die sich erst ihren Platz in der Gesellschaft suchen müssen, unter Druck setzen. Wir verursachen psychischen Distress und erreichen damit noch nicht mal das Ziel, dass sich Menschen gut um sich selbst und ihre Gesundheit kümmern.
Gesellschaft entwickelt sich, Sprache auch
Womit wir indirekt auch schon beim Thema „Sprache verschandeln“ sind und zurück zum Thema Gender kommen. Sprache nimmt nämlich nicht nur aktiv Einfluss auf unsere Gesellschaft. Sie ist natürlich schon deshalb selbst nicht tot. Darüber hinaus entwickelt sich Sprache dynamisch mit der Gesellschaft mit, das Ganze ist also keine Einbahnstraße. Wenn wir die positiven Entwicklungen in unserer Gesellschaft in Bezug auf Diversität und Gleichstellung nicht nur begrüßen, sondern außerdem mittragen wollen, bleibt es folglich nicht aus, dass sich auch unsere Sprache entsprechend ändert. Wenn wir uns gegen eine Veränderung der Sprache stellen, so stellen wir uns also indirekt auch gegen eine Weiterentwicklung unserer Gesellschaft. Wollen wir wirklich, dass das althergebrachte Verständnis der binären Geschlechterrollen weiter erhalten und reproduziert wird? Als Hochschule sollten wir, meiner Meinung nach, nicht nur mit der Zeit gehen, sondern die Zukunft unserer Gesellschaft positiv mitgestalten. Wir sollten eine Leitbildfunktion übernehmen und diese auch in unserem Sprachgebrauch widerspiegeln.
Darum geht’s: Positionierung von Frauen
Nochmal zur letzten, oben zitierten Aussage, die ich des Öfteren von Frauen zu hören bekomme: es wäre ihnen egal, wie über sie geschrieben, bzw. wie sie angesprochen würden. Als Professor oder Professorin, als Student oder Studentin, als wissenschaftlicher Mitarbeiter oder wissenschaftliche Mitarbeiterin. Da dies von Frauen selbst gesagt wird, um die es bei dieser Angelegenheit ja schließlich geht, wäre der Beweis gegen die Notwendigkeit einer gendergerechten Sprache erbracht. Wie aus obigen Überlegungen wahrscheinlich schon ersichtlich ist, geht es aber nicht um die Befindlichkeiten einzelner Frauen. Tut mir leid! Es geht um die Positionierung von Frauen in der Gesellschaft allgemein. Und um das, was als „normal“ gilt in Bezug auf Verhalten, Berufe und Machtpositionen – je nach dem, welchem Gender wir zugeordnet werden. Solange wir Berufe in Männer- und Frauenberufe unterteilen und sprachlich unterscheiden, solange wir nur von Professoren und Studenten an der technischen Hochschule sprechen, solange das Bild eines an der technischen Hochschule dozierenden Menschen das eines weißen, heterosexuellen Mannes ist, werden junge Frauen weiter größere psychologische – und auch oft noch familiäre – Hürden als junge Männer überwinden müssen, bevor Sie sich für einen technischen Studiengang entscheiden. Jungen Männern wird es umgekehrt zum Beispiel mit sozialen und gesundheitswissenschaftlichen Studiengängen genauso ergehen. Dass diese binäre Konstruktion von ‚Geschlechterunterschieden‘ Menschen mit nichtbinärer Genderidentität ganz ausschließt, ist offensichtlich.
Wege über die Gendergaps
Dinge am Individuum zu verändern, über Mentoring jungen Frauen Unterstützung anzubieten und Sie zu Erfolg in einer immer noch männlich geprägten Berufswelt zu coachen, ist eine von vielen Möglichkeiten die Gendergaps zu schließen. Genau diese Möglichkeit nutzen wir an der THD mit unserem MINT Team schon in einer ausgezeichneten Weise. Wir müssen aber auch andere Wege gehen. Unser aller Ziel sollte sein, die Unterstützung Einzelner nicht mehr zu brauchen. Nämlich dann, wenn eben die Berufswelt und die Gesellschaft generell nicht mehr männlich geprägt ist. Es muss normal für Menschen jeglicher Genderidentifikation werden, den Beruf auszuüben, der sie interessiert. Den Beruf, in dem sie eine Zukunft für sich sehen, ohne dass der Ausblick auf diese Zukunft mit gesellschaftlichen, institutionellen, familiären und psychologischen Hürden verbaut ist.
Im März 2021 wurde an der THD ein neu entwickelter Leitfaden zur gendergerechten Sprache veröffentlicht. Wenn wir die darin enthaltenen Empfehlungen alle ein wenig beherzigen, werden wir etwas bewegen.
Irmgard Tischner
Irmgard Tischner ist promovierte kritische Psychologin, Professorin für Qualitative Sozial- und Gesundheitsforschung und epistemologisch im sozialen Konstruktionismus zuhause. Die Diskursanalyse ist daher oft Methode ihrer Wahl. Derzeit bekleidet Sie auch die Ämter der Hochschulfrauenbeauftragten und der Beauftragten für Studierende mit Beeinträchtigungen. Ihre Forschungsinteressen liegen in den Bereichen Gender, Embodiment und Gesundheit – alles in Zusammenhang mit sozialer Gerechtigkeit und sozialen Dynamiken. Sie hat lange Jahre in England gelebt und gelehrt und ist seit 2018 an der THD beschäftigt.