Eine Ministerin redet sich Volkes Meinung zu Corona und Wissenschaft schön
Hat da jemand ganz laut im dunklen Keller gesungen oder sich nur wie Pippi Langstrumpf die Welt so zurechtgemacht, wie es ihr gefällt? Die Forschung gehe "deutlich gestärkt" aus den Corona-Monaten hervor, hat die Baden-Württembergische Wissenschaftsministerin Theresia Bauer (Grüne) kürzlich der Nachrichtenagentur dpa im Interview gesagt und viele Medien haben das unkommentiert abgedruckt. Untermauert wird die Aussage durch eine Umfrage für das Wissenschaftsbarometer Corona Spezial. Da geben fast drei Viertel der 1000 Befragten an, eher oder voll und ganz in Wissenschaft und Forschung zu vertrauen.
Soweit die Sicht aus dem Elfenbeinturm der Ministerin. Nun zu den Fakten. Die Umfrage ist vom April 2020, da hatte uns Corona erst seit einem Monat heimgesucht und die Hoffnung, dass Politik und Wissenschaft die Lage im Griff haben, war groß. Heute ist die Welt, auch in Deutschland, eine andere.
Mal lässt sich die Hälfte der Pflegekräfte nicht gegen Corona impfen, mal ist es ein Drittel - auf jeden Fall alarmierend viele Menschen aus wissenschaftlich geprägten Einrichtungen, die den Schutz eigentlich dringend bräuchten und die auf keinen Fall das Virus an alte und kranke Menschen übertragen sollen.
Mal ist der Impfstoff der Forscher von AstraZeneca und der Universität Oxford nur für Menschen bis 65 Jahren empfehlenswert, dann wieder für alle. Mal hilft er angeblich kaum, dann wieder sehr. Mal sollen die Impfungen genau wie von den Herstellern vorgegeben schnell in zwei Dosen erfolgen, dann plädiert die Deutsche Gesellschaft für Immunologie dafür, zunächst lieber mehr Menschen einmal zu impfen – als weniger zweimal.
Die Beispiele lassen sich fortsetzen. Und ebenso lässt sich schlüssig erklären, warum einmal aufgrund eines bestimmten Erkenntnisstandes die eine Empfehlung gegeben wurde und das andere Mal wegen neuester Erfahrungen oder Forschungen Korrekturen oder Wechsel fällig waren. Nur: ein großer Teil der Bevölkerung kommt da schlicht nicht mehr mit. Oder will nicht mehr mitkommen. Drei Viertel vertrauen heute in Deutschland in die Wissenschaft? Bei der letzten Erhebung im November 2020 waren es nur noch 60 Prozent. Und das war noch vor dem aktuellen Lockdown.
Es ist zu befürchten, dass aktuell nur noch die Hälfte der Deutschen der Wissenschaft vertraut. Das heißt: Jede/r Zweite im Land glaubt eher Verschwörungstheorien, sogenannten Querdenkern, Auguren, Populisten oder Social-Media-Hobbyvirologen.
Was lief konkret schief, was kann gegen den Vertrauensverlust getan werden? Ich schaue mir ja aus beruflichen Gründen viele Auftritte von Wissenschaftlern in klassischen Medien (vom Tagesschau-Interview bis zur Talkshow) und in YouTube-Kanälen an. Daraus gewinne ich positive und negative Beispiele für meine Klienten, die sich für solche Auftritte von mir schulen lassen. Und ich gewinne natürlich einen Überblick, wie sich öffentliche Debatten entwickeln, ausufern, umschlagen. Wie einzelne Protagonisten immer öfter auftauchen, andere wieder verschwinden.
Nun kenne ich zudem aus meiner aktiven Zeit bei Zeitungen und Nachrichtenmagazinen auch die Mechanismen dahinter. Artikuliert ein Wissenschaftler vor Block oder Mikrofon kein verquastes Fach-Kauderwelsch, sondern Klartext, und ist die Person auch jederzeit für ein Interview oder Statement bereit und greifbar, kommt sie ganz oben auf die Expertenliste der Redaktion. Habe ich wenig Zeit für die eigene Suche nach Experten, so schaue ich, welche Experten die Konkurrenz abdruckt oder filmt - und spreche diese an. Zudem ist es kein Geheimnis, dass sich die häufig zitierten Wissenschaftler und Forscher schon auch gebauchpinselt fühlen, wenn sie bei den Medien gefragt sind.
Was dabei untergeht: Die weniger redegewandten Experten und solche, die schlicht keine Zeit oder Lust für die Auftritte haben. Das ist schade und hier liegt aus meiner Sicht auch einer der Gründe, warum der Glaube in die Wissenschaft öffentlich abnimmt: Die immer selben Herrschaften werden von den Medien gerne mit tatsächlich oder oft konstruiert konträren Positionen gegeneinander in Position gebracht. Die News muss her - es ist ja in der Regel die Nachricht über gegensätzliche Meinungen, die für Aufregung und Einschaltquoten sorgt.
Ohne jetzt Namen zu nennen und auf die einzelnen Scharmützel oder gegensätzlichen Aussagen einzugehen: Die Bürger sind es dann irgendwann leid, diesen Stellungs-Gefechten weiter zu folgen - während ihr Privatleben verkümmert, die Familie nur noch aus Nervenbündeln besteht, die berufliche Existenz bedroht ist etc.. Um nicht missverstanden zu werden: Es geht mir nicht um die Corona-Maßnahmen an sich. Es geht mir um das Dilemma der Kommunikation dazu und hier speziell um die Kommunikation der gefragten Wissenschaftler. Immerhin hat die Stuttgarter Ministerin dazu im Interview erkannt: Es müsse den Wissenschaftler:innen "noch stärker als bislang gelingen, komplexe und wissenschaftliche Zusammenhänge in verständlicher Sprache und bisweilen auch schneller als bisher auf den Punkt zu bringen. Sie müssten lernen, so zu erklären, dass Laien verstünden, worum es geht".
Treten wir kurz aus der Corona-Situation heraus und nehmen wir als Vergleich ein Spiel der Fußball-Championsleague und die dazu gerne von den TV-Sendern herangezogenen Experten; hier wie bei einem großen Bezahlsender eine ganze Runde an Ex-Spielern und Promis. Hören wir kurz nach dem Anpfiff beim Stande Null zu Null hinein und hören wir den Experten X, wie er von einem drohenden Elfmeterschießen in 119 Minuten fabuliert, während der andere Experte Y die exakte Ballführung des linksfüßigen Stürmers in Einzelheiten bewundert, der dritte Experte Z aber sogleich eine taktische Finesse hinter der möglichen Einwechselung eines neuen Verteidigers vermutet und dazu fünf Minuten spekuliert.
Wir sind verwirrt und wenden uns dem zu, was wir sehen: Dem leichtfüßigen Spiel des Stürmers und dem Kommentar dazu. Nun aber fällt das Bild aus, der Ton bleibt an, auch Radio genannt. Wir sehen keine Gegenspieler mehr, der "Feind" ist unsichtbar. Der Bericht über den tänzelnden Stürmer wird lautstark überdeckt von Experten-Kommentare über mögliches Elfmeterschießen und Einwechselungen. Was tun wir? Wir schalten ab.
Nun ist es zugegeben nicht die höchste Kunst, dieses Dilemma aufzuzeigen und die These von der Forschung, die laut Ministerin "deutlich gestärkt" aus den Corona-Monaten hervorgehe, zu widerlegen. Doch was können wir, was kann die Politik und was kann die Wissenschaft tun?
Szenario 1: Wir werden China und das Wort von Staat/Partei und der gleichgeschalteten Wissenschaft sind Gesetz und jeder hält sich einfach daran und hinterfragt nicht. Was im Fall Corona offensichtlich funktioniert.
Szenario 2: Wir werden Schweden, appellieren an die Verantwortung der Bürger, machen keine strengen Vorgaben, lassen die Wissenschaftler verschiedener Glaubensrichtungen aufeinanderprallen und warten ab. Das funktioniert nicht wirklich gut, aber auch nicht viel schlechter als unser Ansatz der Lockdown-Verlängerungen. Tja...
Szenario 3: Wir denken neu (nicht "quer"), was wir aber realistisch gesehen in dieser Corona-Krise nicht mehr schaffen werden. Dafür dann hoffentlich beim nächsten forschungsrelevanten Krisen-Fall, der z.B. eine Klimakatastrophe sein könnte.
Was heißt das? Staatliche Regulierung der Wissenschaftskommunikation in Krisenzeiten, eine Art nationaler Forschungsrat, der mit einer Stimme spricht, mit TÜV-Siegel und einer Art BaFin dahinter? Ein schöner Traum. Einer, der Redakteure bei BILD erheitert, denn diese finden immer Stimmen, die alles widerlegen. Und in Social Media findet die Weltverschwörung durch eine gewisse Gleichschaltung ihre Bestätigung.
Bleibt also nur Folgendes. Die Wissenschaft muss "medienfest" werden, wissen welche Aussagen wie aufgenommen werden - und wie die Aussagen hinterher zugespitzt veröffentlicht werden. Also wie bei Experimenten die Folgen vorab abschätzen lernen. Vorsicht in den Aussagen, wo Vorsicht geboten ist. Klare Warnungen und Forderungen, wo die Sachlage größtmöglich klar ist.
Und auf Seiten der Medien muss das etabliert werden, was zum Teil schon erfolgreich umgesetzt wird: Faktenchecks! Nicht nur durch findige Rechercheure mit geisteswissenschaftlichem Hintergrund, die sich in Themen neu hineinwühlen. Auch durch immer mehr gut ausgebildete Wissenschaftsjournalisten, für die es noch zu wenige Studiengänge gibt. Und durch mehr Aufbau-Studiengänge für Mediziner, Chemiker, Techniker, Informatiker etc., die zu Journalisten ausgebildet werden (Achtung: Karrierechance!).
Also: Die anfangs zitierte Ministerin hatte behauptet, in den Monaten der Pandemie habe sich "wie unter dem Brennglas" gezeigt, wie Wissenschaft funktioniert. Na ja. Ich fordere: Schafft endlich dieses Brennglas! Macht Wissenschaft transparenter und nachvollziehbarer. Und zeigt das Brennglas allen in diesem Land, die zweifeln, verzweifeln oder schlicht ratlos sind. Das braucht leider länger als die Erfindung dieser politischen Floskel. Aber es wird sich auf jeden Fall für Wissenschaft, Medien und Öffentlichkeit lohnen.
Gunther Schnatmann ist geschäftsführender Gesellschafter des Deutschen Instituts für Forschungskommunikation GmbH in München (forschungskommunikation.de) und schult Wissenschaftler für Auftritte in der Öffentlichkeit. Er lehrt seit zehn Jahren an der International School of Management München/Dortmund Public Relations und war u.a. Dozent an der Axel Springer Akademie. Seine journalistischen Grundlagen erlernte er an der Deutschen Journalistenschule, arbeitete danach zehn Jahre als Redakteur bei tz, Abendzeitung und FOCUS, studierte an der ETH Zürich und einer Schweizer Business School Betriebswirtschaft, hat Erfahrung als Unternehmens- und Personalberater.