Neulich in meiner Twitter-Bubble. Eine (mir unbekannte) Frau plädiert vehement dafür, dass die Schulen auch über den 15. Februar hinaus geschlossen bleiben müssen. Digitaler Unterricht, schreibt sie, funktioniert 1a. Beweis: Ihre eigenen Kinder. Ich bringe das Gegenbeispiel eines unserer Kinder. Moritz, 3. Klasse, hatte seit Mitte Dezember keinen Unterricht mehr. Also seit rund acht Wochen. Meine Intention außerdem: Nicht immer von sich auf alle extrapolieren und dazu passende Forderungen an alle aufstellen (mögen sie auch grundsätzlich gerechtfertigt sein). Die Antwort folgt schnell und rotzig: Ich solle doch bitte meinen eigenen Thread aufmachen und nicht bei ihr mitreden. What? Ein Tweet als Privatsphäre? Außerdem seien wir nicht per Du. Auf meine Frage, wo genau ich gedutzt habe, folgt eine Entschuldigung, sie habe mit ihrer Antwort eigentlich jemand ganz anderen gemeint. So weit, so schlecht. Aber man kann hier zwei interessante Dinge über Kommunikation lernen.
Kontext, wo bist du?
Das Modell vom Sender und vom Empfänger kennen wir alle. Aber so einfach ist es nicht. Denn Kommunikation findet immer in einem Kontext statt. Und ja, der Kontext, der fehlt uns in den Sozialen Medien ausgesprochen häufig. Insbesondere, wenn wir mit Unbekannten chatten. Wir wissen quasi nichts über diese Menschen. Nichts über ihre aktuelle Situation und Stimmung, ihre Sozialisierung, ihre Bildung, ihre politische Einstellung, ihren Charakter. Alles, was wir sehen, ist ein einzelnes Posting und dieses verstehen wir dann eben so, wie es gerade im Augenblick zu uns selbst passt. Nach unserer eigenen aktuellen Situation und Stimmung, unserer Sozialisierung, unserer Bildung, unserer politischen Einstellung, unserem Charakter. Weil, wie sollen wir – nach den goldenen Regeln der Kommunikationskunst – einen Perspektivwechsel vornehmen, wenn wir gar nicht wissen, welche Perspektive einzunehmen ist, um eine Nachricht korrekt zu interpretieren. Und dann darauf eine richtige und zugleich empathische Antwort zu geben. Ein echter Match ist da eher zufällig. Um bei meinem Beispiel zu bleiben, ich war grundsätzlich gar nicht anderer Meinung als die erwähnte Twitterin. Ich wollte nur einen zusätzlichen Aspekt einbringen. Aber trotzdem haben wir aneinander vorbeigeredet, worüber ich den schützenden Mantel des Schweigens decke. Aber klar, je weniger man verstanden wird, desto frostiger wird der Ton.
Ich springe im Quadrat
Jede Kommunikation hat vier Seiten. Eine davon ist die blanke Information. Die, die wir eben zum Beispiel in einem Tweet sehen. Dazu kommt zweitens immer das, was der Sender mit dem Geschriebenen von sich persönlich preisgibt. Eine Einstellung vielleicht. Hier sind wir aber schon auf dem Feld der Spekulation, wenn wir den anderen nicht kennen. Nummer drei ist die sogenannte Beziehungsebene. Sie beinhaltet, was der Sender von seinem Auditorium hält. Schreibt er sachlich oder emotional, freundlich oder arrogant, empfehlend oder radikal. Bleibt viertens der Appell. „Schulen zu!“ in unserem Beispiel. Man nennt das Ganze das „Kommunikationsquadrat“. Definiert hat es der Philosoph und Kommunikationswissenschaftler Friedemann Schulz von Thun. Wenn das Kommunikationsquadrat funktionieren soll, braucht es zu den vier Mündern des Senders allerdings auch noch vier entsprechende Ohren bei den Empfängern. In unserem Beispiel und meinem Kopf also so: „Was ist das denn für eine?“ „Wie soll ich das jetzt verstehen?“ „Was soll ich jetzt in meiner Situation tun?“ Oh jemine. Da wird klar, warum Social Media, wenn man sie zu nahe an sich ranlässt, so unglaublich ermüdend sind. Denn Kommunikation, die schon im Eins-zu-Eins schwierig ist, spielt sich ja im Netz quasi exponentiell ab. Als Viele-mit-Vielen-gegen-Viele. Don Quichottes Kampf gegen die Windmühlen – Dreck dagegen. Kein Wunder, dass durchschnittliche User mehr als zwei Stunden täglich in den Social Media verbringen.
Das digitale Dorf und so
Sozialen Medien (wie auch dem Internet) hängt ja oft das Label vom digitalen Dorf um den Hals. Dorf, das klingt irgendwie kuschelig, vertraut, nahbar und nett. Nicht umsonst singt die Antilopen Gang „Das Zentrum des Bösen ist der Dorfplatz“. Herbert Marshall McLuhan prägte einst den Begriff vom „Globalen Dorf“. Bereits in den 60ern des vorigen Jahrhunderts prognostizierte der kanadische Kommunikationstheoretiker, dass eine visuelle Kultur die Hör- und Sprechkultur ablösen würde, dass wir mit der Weiterentwicklung der Medien eine Identität auf Stammesbasis annehmen würden. Das Globale Dorf eben, der weltweite Tribe. Wikipedia sagt, McLuhan habe den Begriff nicht wertend, sondern nur beschreibend verwendet. Allerdings gibt es auch dieses Zitat von ihm: „Das globale Dorf ist ein Ort mit sehr schwierigen Schnittstellen und sehr aggressiven Situationen.“ Stimmt. Classmates.com und Sixdegrees waren 1995 und 1997 die ersten Anwendungen, die als modernere soziale Netzwerke gelten können. 15 bzw. 17 Jahre nach McLuhans Tod.
In diesem Sinne, sprecht miteinander, nicht übereinander.
Euer Jörg
Jörg Kunz ist promovierter Biologe und PR-Experte mit vielen Jahren Erfahrung in Agentur und Industrie sowie in Expertenorganisationen wie Krankenhaus oder Hochschule. In seinen Blogbeiträgen wirft er einen persönlichen Blick auf aktuelle Ereignisse und betrachtet diese aus der Sicht der Kommunikation bzw. im speziellen aus Sicht der Wissenschaftskommunikation.