Wie bringt man Gedanken in eine Form? Fast alle werden jetzt sagen: na, ich schreibe einen Text. Wir akzeptieren Text als die beste - alleinige - Form unser Wissen zu vermitteln. Am besten in ausgefeilten Sätzen mit Anmerkungen, die unser Wissen untermauern. Wir DENKEN - wir FINDEN - wir VERSTEHEN - wir SCHREIBEN. Aber muss das immer so sein?
Beispiel Digitales Graphic Recording: Digitale Kompetenz an Hochschulen
Visualisierung als Alternative
Es wird allgemein so akzeptiert und wir sind darauf trainiert, Dinge mittels Text zu lernen und zu verstehen. Wir schreiben Worte in linearer Folge, in unserem Kulturkreis von links nach rechts. Dann ein Umbruch und weiter von links nach rechts. Aber Worte sind nicht die einzigen Vermittler von Erkenntnis. Ich möchte daher hier eine weitere Variante ins Spiel bringen. Und die ist eher nicht linear: die Visualisierung.
Beispiel Graphic Recording: Cellular Computing
Den Gedanken Gestalt geben
„Bilder? Wo bleibt da die Validität“ - höre ich jetzt den Wissenschaftler sagen, und gerade im wissenschaftlichen Kontext wird die Visualisierung oft erstmal als unseriös, naiv und nicht valide abgetan. Ich möchte hier selbstverständlich nicht Denkweisen und Sichtweisen gegeneinander ausspielen. Aber es gibt meines Erachtens mehr als nur eine Aufbereitung von Wissen. Bilder brechen lineares Denken auf, das Auge schweift und die Gedanken schweifen mit und bleiben dabei in Bewegung. Wir geben unseren Gedanken Gestalt, erfahren einen anderen Blick auf die Welt, auf Phänomene und schärfen unsere Wahrnehmung. Verlassen wir die lineare Folge, die Sprache des Nebeneinanderstellens und ergänzen sie um eine weitere Dimension. Lassen wir mehr Vielfältigkeit zur Konstitutionierung von Erfahrung zu. Unser Gehirn verarbeitet hochdifferenziert, warum sollten wir uns daher beschränken und unsere Sinneswahrnehmungen ausschließen?
Beispiel Digital Graphic Recording: Energie und Klimawandel, das Energiesystem Hochschule
Querverbindungen ohne Nebensätze
Um unsere Gedanken in ihrer ganzen verworrenen Komplexität zu erfassen und zu vermitteln, ist es förderlich die übliche Linearität aufzubrechen. Bilder haben nicht den Anspruch auf Vollständigkeit. Aber dafür bringen verkürzte Darstellungen Sachverhalte oft schnell auf den Punkt. Wir LESEN, wir SCHAUEN, wir SCHAUEN, wir LESEN - das gibt Anreiz zum WEITERDENKEN. Das alles ist mir ein wichtiges Anliegen. Ich bin Graphic Recorderin. Meine Arbeit besteht darin, auf Veranstaltungen Vorträge und Diskussionen zeitgleich mitzuzeichnen. Das funktioniert, indem ich durchgehend konzentriert zuhöre, dabei Informationen sortiere und priorisiere und durch ein Wort-Bild-Gemisch versuche Kontext darzustellen. Im Gegensatz zum protokollierenden Text kann ich dabei Querverbindungen herstellen, ohne lange Nebensätze. Manchmal stehen Aussagen dann zufällig in unmittelbarer Nähe (nicht unbedingt nebeneinander), so dass sie beim Betrachter wieder neue Assoziationen hervorrufen. Dass mittlerweile visuelle Sprache mehr und mehr als Tool und zusätzliche Möglichkeit verstanden wird, um eine weitere Komponente der Erfahrbarkeit ins Spiel zu bringen, freut mich besonders.
Beispiel Graphic Recording: Ynsect Farming
Bilder weitergedacht
Graphic Recording wird vermehrt in Workshops eingesetzt, um dort den Prozess zur Lösungsfindung voranzutreiben. Man hat sowohl Ansätze als auch Irrwege direkt vor Augen. Nun wäre ich natürlich ein unglaubliches Universalgenie, wenn ich jegliche Materie sofort und spontan in all ihrer Tiefe und Vielschichtigkeit erfassen könnte. Aber das muss ich auch gar nicht. Was ich auf Veranstaltungen immer wieder beobachte: der Spezialist und die Fachfrau schauen auf das Bild mit all ihrem Vorwissen im Hintergrund und denken es weiter. Das ist faszinierend und auch immer wieder sehr befriedigend für mich. Denn es zeigt mir, dass die Bilder für den Betrachter wirklich Sinn ergeben.
Beispiel Graphic Recording: AI and Fundamantal Rights
Für alle, die mehr erfahren wollen, erlaube ich mir das großartige Buch »Unflattening« von Nick Sousanis zu empfehlen. Oder auch „Comics Richtig Lesen“ von Scott Mc Cloud bzw. »Graphic Ethnography«. Inspiriert haben mich persönlich außerdem Mirco Göpfert, der gerade an einer Arbeit über Wissen und Humor schreibt sowie Henning Breuer, der dem Thema Visualisierung als Methode schon sehr lange und sehr positiv gegenübersteht. Wer mehr über Graphic Recording erfahren möchte, sei gerne auf meine Webseite eingeladen.
Gabriele Heinzel
Gabriele Heinzel kam durch einen Zufall vom Illustrieren disruptiver Zukunftsszenarien zum Graphic Recording. Seither erforscht sie die Möglichkeiten, wie man visuelle Tools in Transformationsprozesse einbringen und komplexe Sachverhalte einfach verständlich darstellen kann. Die direkte Zusammenarbeit mit Kunden ist ihr sehr wichtig, denn je früher sie als Graphic Recorder in die Prozesse eingebunden wird, desto zielgerichteter und wertvoller kann der Output werden. Seit 2011 arbeitet Gabriele Heinzel hauptberuflich als Graphic Recorder. Erst analog, dann digital und inzwischen auch remote. Auf Deutsch und auf Englisch. Zudem erarbeitet sie gemeinsam mit ihren Kunden, Business Illustrationen, Strategiebilder, Infografiken und Templates für Workshops.