Der Mensch tut sich schwer mit Veränderungen – und das in zahlreichen Lebenslagen. Vor allem, wenn es um technische Neuerungen geht, ist die Ungewissheit oft groß. Wie funktionieren technische Geräte? Welchen Preis muss ich für die Nutzung zahlen? Erlange ich dadurch überhaupt einen Vorteil? All diese Fragen können dazu führen, dass Anschaffungen neuer Gerätschaften und die Änderung fester Gewohnheiten hinausgezögert werden.
Wenn es schon mir so geht: Das Ausprobieren von technischen Neuerungen wie das kontaktlose Bezahlen, geschweige denn die Bezahlung per Smartphone schiebe ich schon ewig vor mir her. Bis heute besitze ich kein Paypal und keinen Dropbox-Account. Erst seit kurzem bin ich Trägerin einer Smartwatch und auf Online-Banking bin ich gerade mal vor zwei Jahren umgestiegen. Und anstatt Spotify zu nutzen, gebe ich mich nach wie vor mit Bayern 3 zufrieden. Ja, wie soll dann erst die ältere Generation klarkommen? Die über Jahrzehnte stets dieselben (analogen) Abläufe und Gewohnheiten verinnerlicht hat. Tagtäglich nutzen sie die gleichen Geräte und Hilfsmittel oder eben Verbesserungen der selbigen. Schnurlostelefon, Kartenzahlung und Flachbildfernseher stellen für sie dabei die größten technischen Veränderungen der letzten Jahre dar.
Corona ändert alles
Durch die Pandemie zeigt sich jedoch bei vielen Menschen – ob jung oder alt – eine Veränderung hinsichtlich der Einstellungen gegenüber speziellen technischen und digitalen Hilfsmitteln. Eine Verhaltensänderung in Bezug auf bisher gewohnte und lieb gewonnene Abläufe wird deutlich. Manchmal freiwillig, manchmal aus reiner Notwendigkeit. Ich denke dabei an die zur »Normalität« gewordenen Videokonferenzen, an eine steigende Anzahl von Kartenzahlungen in Geschäften des täglichen Bedarfs oder an das Erkennen der Notwendigkeit, auch als Einzelhändler oder kleiner Gastronom einen ansprechenden Internetauftritt zu benötigen. Nur um mal ein paar Beispiele zu nennen.
Oma schafkopft online
Nun fällt auf, dass neuerdings auch Seniorinnen und Senioren verstärkt den Wunsch nach einem Smartphone äußern. Nur so können sie »richtig« mit Kindern, Enkeln und Bekannten in Kontakt bleiben. Und auch zum Zeitvertreib habe man gehört, sei dies eine »gute Sache«. Fun Fact am Rande: Meine Oma ist seither täglich damit beschäftigt, ihren Rang in einer virtuellen Schafkopfrunde zu verbessern. Akzeptanz von Neuem stellt sich also dann ein, wenn der Nutzen klar ersichtlich ist und am besten zugleich noch Grundbedürfnisse (das bezieht sich aber nun nicht zwingend auf’s Schafkopfen) erfüllt werden. In der Regel wird der Einsatz digitaler Technik als notwendig erachtet, wenn durch die Nicht-Nutzung – wie im Falle der anhaltenden Covid-Krise – ein Nachteil für mich entsteht. Sehr schnell wurde älteren Menschen im vergangenen Jahr also bewusst, dass durch die Nutzung von Smartphones der Kontakt zu ihren Liebsten auch während eines Lockdowns weiterhin möglich bleibt. Wenn auch in einer neuen Art der Kommunikation.
Ambient Assisted Living (AAL)
Vielleicht ist deshalb gerade jetzt der richtige Zeitpunkt, um mit den Menschen über die Chancen und Möglichkeiten digitaler Assistenzsysteme (AAL) zu sprechen, sie zu informieren und Berührungsängste abzubauen. Im Projekt »DeinHaus 4.0« werden noch in diesem Jahr bis zu 100 Senioren-Testhaushalte mit digitalen Techniken ausgestattet, um die dadurch entstehenden Möglichkeiten für ein »Längeres Leben Zuhause« zu erforschen. Hierbei handelt es sich nicht nur um oft bereits bekannte Geräte wie Smartphones oder Tablets, sondern um allerlei Sensoren und Techniken, die den Gesundheitszustand aufzeichnen und überwachen können sowie die Sicherheit im Alltag fördern. In diesem Bereich wünschen wir uns nicht nur als Projektmitarbeiterinnen und –mitarbeiter, sondern auch als Kinder oder Enkelkinder – ebenso wie die Politik –, dass der Nutzen individuell erkannt wird, um die Grundbedürfnisse »Wohnen« und »Pflege« langfristig durch neue Technologien zu stärken. Ob es nun zu einem flächendeckenden Durchbruch für AAL-Lösungen kommt oder nicht, das wird erst im Laufe der nächsten Jahre erkennbar werden. In jedem Fall zeigt sich allerdings, dass die Corona-Pandemie einen wichtigen Denkanstoß dafür gegeben hat.
Karolin Michl, 26 Jahre, ist Digital Native und Projektmitarbeiterin des Projektes DeinHaus 4.0. Sie schreibt regelmäßig über den Fortgang und über das Umfeld dieses Forschungsprojekts. Das Projekt DeinHaus 4.0 wird vom Bayerischen Staatsministerium für Gesundheit und Pflege gefördert und hat eine Projektlaufzeit von 5 Jahren. Techniker:innen und Wissenschaftler:innen beschäftigen sich im Rahmen des Projektes mit dem Thema „LÄNGER LEBEN ZUHAUSE“ mittels digitaler Technik. Dazu wurden bereits im Jahr 2019 zwei Mustereinrichtungen in Osterhofen und Deggendorf mit AAL-Lösungen ausgestattet, um die breite Bevölkerung zu informieren und Hemmschwellen in Bezug auf digitale Geräte abzubauen.