Eine Frage, die mir in Vorträgen und persönlichen Gesprächen oft entgegenschlägt, wenn es um Elektromobilität geht: „Und, wo soll denn der Strom herkommen?“ Eigentlich enthält dieser einfache Satz zwei zentrale Fragestellungen zur Umstellung unserer straßengebundenen Mobilität auf erneuerbare Energien. Zum einen, wie und wo soll der Strom erneuerbar erzeugt werden. Zum anderen, wie bekommen wir ihn von der Solarzelle oder dem Windrad zu den Elektroautos ohne dabei Unsummen in den Ausbau unserer Stromnetze stecken zu müssen. Es gibt Antworten.
25 Prozent mehr Strom braucht das Land
Ein aktuelles Elektroauto hat einen durchschnittlichen Stromverbrauch von etwa 20 Kilowattstunden auf 100 Kilometer. Zum Vergleich: Ein Liter Diesel bringt etwa 9,8 Kilowattstunden. Das würde also rund zwei Liter Diesel pro 100 Kilometer entsprechen. PKW in Deutschland haben im Jahr 2019 laut Kraftfahrt-Bundesamt etwa 632 Milliarden Kilometer zurückgelegt. Bei einer Umstellung sämtlicher Autos auf Elektroantrieb bräuchten wir im Jahr also 126 Milliarden Kilowattstunden Strom zusätzlich, was einer Durchschnittsleistung von 14,4 Gigawatt entspricht. Hört sich jetzt erstmal alles sehr technisch und kompliziert an. Machen wir deshalb eine einfache Rechnung auf: Aktuell liegt die durchschnittliche Stromerzeugung in Deutschland bei ca. 60 Gigawatt. Das bedeutet, wenn wir tatsächlich alle Autos auf Elektroantrieb umstellen würden, müssten wir unsere Kraftwerksleistung um 25 Prozent ausbauen. Das kann man sich jetzt schon besser vorstellen. Unsere Kohlekraftwerke laufen noch bis 2038, derzeit erzeugen wir (lediglich) knapp die Hälfte unseres Stroms aus ökologischen Quellen. Ein weiter Weg liegt vor uns, um den Anteil der Erneuerbaren zu erhöhen, auch für die eMobilität. Warum sollte man sich da die Sache mit der begrenzten Reichweite antun, mit dem höheren Preis oder dem Kobalt aus kongolesischer Kinderarbeit für die Batterien? Warum nicht erst mal weiterhin mit Sprit fahren? Na, weil es Möglichkeiten gibt.
Erneuerbar laden
Grundsätzlich muss man wissen: 23 Stunden am Tag steht das Auto irgendwo herum. Immerhin, Zeit zum Laden wäre also mehr als genug. Bleibt die Frage nach dem wie. Am Technologie Campus Plattling gibt es das Forschungsprojekt »DirektPV«. Dort wird eine Art leistungselektronische Energieweiche entwickelt. Was das ist? Nun, wer eine Solaranlage auf seinem Dach hat, kennt das Problem: Wenn die Sonne tagsüber scheint, wird viel zu viel Strom für den Eigenbedarf erzeugt, wenn sie nicht mehr scheint, zu wenig. Die Energieweiche zapft sich immer genau den Strom ab, der zu viel ist, und lädt damit das Elektroauto. Damit wird der Strom für das Elektroauto lokal erneuerbar erzeugt und die Sache mit dem Kohlestrom ist diesbezüglich gegessen. Und im Winter? Nun, der große Vorteil an dem System aus »DirektPV« ist, dass es auch bei sehr geringer Sonneneinstrahlung gut funktioniert. Also tatsächlich auch im Winter. Dann eben nur ein bisschen langsamer. Selbstverständlich haben viele Häuser keine Solaranlage bzw. viele Menschen kein Eigenheim, um wie beschrieben den erhöhten Strombedarf der Elektromobilität erneuerbar zu decken. Hier bietet sich alternativ der Arbeitsplatz an. Das ist dann eher ein organisatorisches, als ein technisches Problem. Ein Solarcarport funktioniert auf einem Firmengelände ebenso, wie eine Solaranlage auf dem Dach. Abrechnung und Eigentumsverhältnisse sind am Firmengelände natürlich ein bisschen schwieriger. Aber nicht unlösbar.
Erschließung weiterer Ökostromquellen
Eine gute Möglichkeit den Ökostromanteil nachhaltig zu steigern und vor allem die Versorgung im Winter sicherzustellen ist ein Stromimport über die sogenannte Hochspannungs-Gleichstrom Übertragung. Man muss das nicht im Detail verstehen. Letztendlich ist es eine Möglichkeit im Extremfall Strom beispielsweise aus Australien mit weniger als zehn Prozent Verlust über eine lange Leitung zu importieren. Das mit Australien macht natürlich finanziell keinen Sinn. Aber alles im Rahmen einer Leitungslänge von bis zu zwei- oder dreitausend Kilometer ist bezahlbar. Beispiele, die mir direkt einfallen:
-Windstrom von der Doggerbank. Die Doggerbank ist zwischen Deutschland, Dänemark und England gelegen und ist an der seichtesten Stelle nur 13 Meter unter dem Meeresspiegel. Ideal also um im großen Maßstab Offshore-Windenergie zu verhältnismäßig günstigen Preisen zu produzieren.
-Windstrom aus Grönland. Die Südküste Grönlands ist eines der besten Windgebiete der Welt. Durch den großen Eispanzer wird die Luft stark abgekühlt und es entstehen vor allem im Herbst und Winter starke Fallwinde.
-Geothermie und Wasserkraft aus Island. Durch die geographische Lage ist dort bereits heute der Strom nahezu komplett erneuerbar, und die Strompreise zählen zu den günstigsten der Welt.
-Solarstrom aus Nordafrika. Auch wenn Nordafrika auf der Nordhalbkugel liegt und zur gleichen Zeit Winter hat, wie wir auch, so ist doch die Sonneneinstrahlung im Winter durch die Nähe zum Äquator viel konstanter und stärker als bei uns.
Unterwegs Strom „tanken“
Nun dazu: Wie kommt der Strom von der Solarzelle oder dem Windrad zum Elektroauto, ohne dass wir die Stromnetze massiv ausbauen müssen? Der große Vorteil moderner Elektroautos ist, dass deren Reichweite mittlerweile deutlich größer ist (ca. 200 bis 400 Kilometer) als die tägliche Fahrstrecke der meisten Menschen. Ich persönlich lade mein Elektroauto eigentlich nur ein bis zweimal pro Woche. Das reicht für knapp 20.000 Kilometer pro Jahr. Auch der durchschnittliche Pendler muss nicht mehr jeden Tag laden. Und in den meisten Anwendungsfällen ist es auch komplett egal, wann das Auto innerhalb der Woche geladen wird. Bis auf die wenigen Fälle, an denen ich es für Langstreckenfahrten benötige (Urlaub in Italien oder einen Verwandtenbesuch an der Ostsee), darf von mir aus gerne der Netzbetreiber entscheiden, wann er gerade zu viel Strom und Leitungskapazität übrig hat, um mein Auto innerhalb der Woche zu „tanken“. Wenn er mir im Gegenzug den Strom ein paar Cent günstiger pro Kilowattstunde gibt, bin ich gerne bereit, ihm in 90 Prozent der Fälle die Wahl des richtigen Ladezeitpunktes zu überlassen.
Von der Bahn auf die Autobahn
Und was machen wir mit den zehn Prozent der Fälle, an denen wir an der Autobahn stehen und rasch große Strommengen haben wollen, weil wir das Auto in 15 Minuten wieder aufladen möchten? Tja, dafür fallen mir spontan zwei prima Möglichkeiten ein. Erstens, das Bahnstromnetz. Eine schon jetzt verfügbare Option. Ein Doppel-ICE zieht bei Volllast maximal 16 Megawatt, also etwa 20.000 PS. Das würde theoretisch reichen, um 40 Tesla Model S gleichzeitig in 15 Minuten voll zu laden. Nun kann das Model S noch nicht so schnell laden und die Wahrscheinlichkeit, dass alle 40 gleichzeitig laden, ist auch gering. Aber der Vergleich zeigt: Es ist relativ einfach, mit der Oberleitung der Bahn die notwendige Schnellladeleistung entlang der Autobahnen bereit zu stellen. Bahnstrecken verlaufen zwar nicht immer unmittelbar neben einer Autobahn, aber dennoch meist in direkter Nähe, weil Flüsse und Gebirge keine allzu große Abweichung in der Routenführung zulassen. Und wenn das Elektroauto nun dem ICE den Strom wegnimmt, weil doch zu viele Elektroautos gleichzeitig schnellladen wollen? Dann ist die Oberleitung einer Bahnstrecke relativ leicht erweiterbar. Zweite Option für die Zukunft: Oberleitungen für LKW. Um den Lastkraftverkehr zu elektrifizieren, stellen Oberleitungen die Lösung mit dem geringsten Ressourceneinsatz dar. Keine seltenen Materialien wie Platin oder Palladium sind für Brennstoffzellen nötig. Oder Lithium und Kobalt für sehr kapazitätsstarke Batterien. Wenn wir nun eh Oberleitungen für LKW installieren, dann kann ähnlich wie bei der Bahnstromlösung ein Teil der übertragenen Leistung zur Schnellladung von Elektroautos verwendet werden. Wir sehen also, Lösungen gibt es durchaus. Jetzt müssen wir uns nur noch als Gesellschaft für eine Kombination der günstigsten Lösungen entscheiden. Und sie umsetzen. Worauf warten wir?
Otto Kreutzer
Otto Kreutzer ist Professor für Leistungselektronik und erneuerbare Energien am Technologie Campus Plattling. Er forscht an Lösungen, die Mobilität komplett erneuerbar und klimaneutral zu gestalten. Aktuell liegt der Forschungsschwerpunkt auf innovativen Ladekonzepten für Elektrofahrzeuge, einerseits zum langsamen erneuerbaren Laden zu Hause und andererseits zum Ultraschnellladen entlang von Autobahnen.