Dr. Bertalan Mesko ist Direktor des »The Medical Futurist Institute«. In dieser Funktion analysiert Mesko Science Fiction Technologien und deren Potential in der Medizin. Seine Posts beobachte ich regelmäßig bei LinkedIn. Da Corona uns erlaubt, quasi mit dem Brennglas auf unser Gesundheitswesen und speziell auf die katastrophale Situation in der Pflege zu schauen, fand ich diese Sache hier ganz besonders spannend: „8 digitale Technologien, welche die Zukunft der Pflege transformieren“. OK, Let’s have a look! Aber vorher noch das wichtigste. Der Markt für gute Pflegekräfte wird auch in Zukunft wachsen. Man muss also keine Angst vor Künstlicher Intelligenz (KI), Robotern oder Automation haben. Diese werden im Gegenteil das Berufsbild als wertvolle Helfer bereichern. Seht selbst.
Auch das muss an dieser Stelle gesagt werden: Praktisch all die Tech-Trends, die Mesko immer wieder anreißt, werden an der THD in verschiedenen Studiengängen und Forschungsbereichen abgebildet. Die Pflege, KI, IoT, 3-D Druck, Sensorik, Automation, Healthcare Informatics, Data Science, Cyber Security und so weiter und so fort. Natürlich kann man nicht alles auf einmal studieren. Aber es ist doch richtig cool, dass es zu all diesen Themen qualifizierte Expertinnen und Experten in Deggendorf gibt. Warum also nicht in einer Bachelor- oder Masterarbeit die Pflege mit einer Ingenieurswissenschaft verknüpfen? Also, Leute, lasst euch mal ein wenig inspirieren.
Roboter: Sollen die doch die nervigen Sachen machen
In Krankenhäusern wie auch in reinen Pflegeeinrichtungen gibt es zahlreiche Routinearbeiten, die derzeit von hochqualifizierten Pflegekräften oder eben Pflegehilfskräften übernommen werden müssen. Sie sind oft organisatorischer Art, repetitiv und monoton. Sie fressen Zeit und lassen die Pflegekräfte viele Kilometer machen. Mit der Hinwendung zum Menschen, haben sie aber herzlich wenig zu tun. Warum also sollten diese Aufgaben nicht Maschinen übernehmen? Schon heute gibt es Roboter, die den in-house-Transport von medizinischen Geräten, Medikamenten oder Laborproben leisten können. In einem Krankenhaus in Texas bringt eine Maschine Toilettenartikel vom Badezimmer ans Patientenbett. Der LightStrike Roboter desinfiziert mit UV-Licht ein Patientenzimmer binnen 10 Minuten. Gerade mal doppelt so lange braucht er für einen OP. Belegt mit mehr als 40 Peer-Review-Studien (Nehmt das, Ihr miesen Wissenschaftsleugner!). Jibo, Pepper, Paro, Dinsow und Buddy sind sogar echte – naja, nicht ganz, but a little bit – Buddies. Social Robots halt.
Telemedizin und Telepflege: Remote geht auch
Die Telemedizin hat ja spannenderweise schon der Gynäkologe und Chirurg Fritz Kahn in den 1930er Jahren vorhergesehen (ganz wunderbar anzuschauen in dem Bildband »Fritz Kahn – Die Welt als Schaubild« von Uta und Thilo von Debschitz). Kahn gilt deshalb auch als Erfinder der Infografik. Aber das nur ein Zuckerl am Rande. Corona hat eben jener Telemedizin natürlich einen kräftigen Tritt gegeben. Echt jetzt, man muss nicht wegen jeder Blessur gleich ins Krankenhaus oder in die Arztpraxis. Tele heißt, man reduziert ganz nebenbei Querinfektionen, ohne dabei die Qualität medizinischer Versorgung zu mindern. So können Pflegekräfte Sauerstoffsättigung, Puls, Atmung oder Blutzuckerspiegel ohne weiteres aus der Entfernung monitoren. Sie können Patienten erklären, kleinere Wunden zu verbinden oder eine Verbrennung zu behandeln. Der letzte WHO-Bericht weist außerdem darauf hin, dass das Training von Pflegekräften mittels Tools der Telekommunikation an Effektivität gewinnt. Insbesondere natürlich in abgelegenen Gebieten und Regionen der Welt. Da hat die WHO aber bestimmt nicht an den Bayerischen Wald gedacht. Keine Sorge.
Ultraschall und AR: High-Tech Blutentnahme
Blutentnahmen mögen dem Laien banal erscheinen, für Patient und Pflegekraft können sie aber ein schmerzhafter Touch-Point sein. »Veebot« – so heißt der erste Roboter-Phlebologe (sind Roboter eigentlich männlich oder weiblich? Any need to gender this?) Per Ultraschall findet er eine Vene mit ausreichendem Blutfluss. Mit einer Trefferquote von 83 Prozent, was der eines erfahrenen Profis entspricht. Ein anderer Ansatz bedient sich der Augmented Reality (AR). »AccuVein« zum Beispiel. Angewendet bei mehr als zehn Millionen Patienten. Die Wahrscheinlichkeit eine passende Vene auf den ersten Stich zu finden, ist 3,5-mal höher als normal.
3-D Druck: Prothesen, Modelle, Essen
Ebenfalls spannend, weil 3-D Printing ja zu den Forschungsfeldern an der THD zählt. Schon heute können Prothesen mittels 3-D Druck individuell für Patientinnen und Patienten produziert werden. High-End Modelle von Organen oder anatomischen Strukturen können außerdem die Kommunikation von Ärztinnen und Pflegekräften mit ihren Patienten verbessern, wenn es darum geht, komplizierte medizinische Sachverhalte möglichst plastisch darzustellen. Und gute – sprich verständliche – Kommunikation erhöht die Compliance. Der 3-D Druck geht im Gesundheitswesen jedoch auch noch in eine vollkommen andere Richtung. »Foodini« stellt damit Speisen beispielsweise für Krebspatienten mit spezieller Diät her. »Biozoom« produziert im 3-D Drucker Essen für Senioren, die nur Püriertes zu sich nehmen dürfen. In diesem Fall dann im Gourmet-Look. Guten Appetit.
Monitoring: Geräte werden kleiner, Patienten und Pflegekräfte mobiler
Diagnostische Medizinprodukte werden immer smarter, passen oft schon in die kleinste Tasche. Die Überwachung von Gesundheits- oder auch Vitalparametern wird mobil. Die Daten können rasch geteilt und online verschiedenen medizinischen bzw. pflegerischen Professionen zur gemeinsamen Bewertung zugänglich gemacht werden. Dass dies speziell in ruralen Regionen mit manchmal nur punktueller Versorgung ein Riesen-Benefit ist, liegt auf der Hand. Portable Ultraschallgeräte können beispielsweise trainierte Pflegekräfte dabei unterstützen, bei ihren Patienten Wasseransammlungen in der Lunge oder der V. cava inf. exakt zu bestimmen und ggf. die Einnahme diuretischer Medikamente entsprechend zu steuern.
KI: Schluss mit dem Gepiepse
Der KI wird natürlich auch in der Pflege großes, unterstützendes Potential bescheinigt. Der Deep Learning Algorithmus »Sepsis Watch« der Duke University (NC, USA) hilft bei der Risikoabschätzung einer möglichen Sepsis. Im Falle eines Hochrisikopatienten wird das Notfallteam alarmiert und durch die ersten drei Stunden der Versorgung geleitet, die bei der Vermeidung von Komplikationen besonders kritisch sind. Ein ganz anderes Problem ist die sogenannte Alarmmüdigkeit (»Alarm Fatigue«). Wer noch nie auf einer Station oder gar Intensivstation war, weiß nicht, was das bedeutet. Im Schnitt gibt es in Krankenhäusern pro Bett und Tag 187 (!) Alarme. 72 bis 99 Prozent davon sind falsch bzw. klinisch irrelevant. Diese Kakophonie piepsender Geräte repräsentiert also nicht die wahre Gefahrenlage. Alarmmüdigkeit demnach total normal. KI kann da helfen. Das zeigt eine Studie von 2019. Um bis zu 99,3 Prozent konnte ein KI-basiertes Tool die Alarme reduzieren – und somit auch das Phänomen der Alarmmüdigkeit. Man muss nicht besonders fantasievoll sein, um sich vorstellen zu können, welche Entlastung solche Technologien für medizinisches und pflegerisches Personal darstellen könnten.
VR: Bessere Ausbildung
Die AR hatte ich schon erwähnt, die VR, also die Virtual Reality noch nicht. Dass die praktisch auf allen Feldern der Medizin bzw. der Pflege sinnvoll und hilfreich ist, steht außer Frage. Eine Umfrage von Wolters Kluwer fand schon 2017 heraus, dass 65 Prozent der Trainingsprogramme für Fachpflegekräfte visuelle Simulationen nutzen. Es wird erwartet, dass der Anteil an VR-Modulen kontinuierlich steigen und die Ausbildung besser bzw. effektiver machen wird. An der Robert Morris University (IL, USA) wurde ein VR-Spiel entwickelt, um eine Harnwegskatheterisierung zu trainieren. Die VR-Gruppe war am Ende genauso skilled wie die Gruppe, die am Dummy trainiert hatte. An der University of Nevada (USA) können Pflegestudentinnen – und studenten mit VR-Headsets kritische Situationen mit medizinischen Komplikationen durchspielen. Die University of New England und die University of Michigan nutzen die VR-Technologie um Kommunikations- und Empathie-Skillls zu trainieren. Bitte nachmachen.
Chatbots & Friends: Medikation optimieren
Die Compliance, das richtige Einnehmen von Medikamenten, ist in der Medizin ein großes Thema. Wegen der bestmöglichen Behandlung der Patienten einerseits, wegen verschwendeter Ressourcen andererseits. Die unzureichende Einnahme von Medikamenten ist riskant und ein riesiges Milliardengrab. »Florence« ist eine Applikation, die beispielsweise daran erinnert, die richtigen Pillen zur richtigen Zeit zu nehmen. Der kleine Tischroboter »Manu« bittet ebenfalls darum, die Medikamente rechtzeitig zu schlucken und verbindet Patienten außerdem mit den behandelnden Ärzten und Pflegekräften. »Manu« kombiniert dabei Einfachheit mit Anpassung. Egal ob die Patienten jung oder alt, weiblich oder männlich, Digital Natives oder Boomer sind. Eine besonders spannende Sache sind Digitale Pillen. Klingt total nach Science Fiction, ist es aber nicht. Das erste schluckbare medizinische Gerät stammt tatsächlich bereits aus dem Jahr 1957. Eine Radiofrequenzpille war das damals. Heute hört sich das wesentlich abgefahrener an. So wurde 2018 in den USA ein komplett neues Arzneimittelsystem in den Markt eingeführt. Kommt der Sensor dieser Digitalen Pille „mit Magensäure in Kontakt, sendet er einen elektrischen Impuls aus. Ein spezielles Pflaster, das der Patient trägt, registriert das Signal und leitet die Information an eine App weiter, die sie wiederum in eine Cloud schickt. So kann der Betroffene verfolgen, wann er seine Tabletten genommen hat. Mit seiner Zustimmung können außerdem Ärzte, Pflegekräfte oder Angehörige auf diese Daten zugreifen.“ Erklärt DAZ.online. Dass hier medizinischer Nutzen mit Datenschutz kollidiert, muss man sicherlich nicht gesondert ausführen.
Nun, eine Menge spannender, zum Teil fast unglaublicher Optionen. Mein Fazit: Forschung und Technik halten viele tolle Lösungen bereit. Man muss stets über den Tellerrand hinausblicken. Seid offen für das Neue – aber selbstverständlich nicht ohne kritisches Hinterfragen. Und immer gilt: Embrace the future. And be part of it.
In diesem Sinne, sprecht miteinander, nicht übereinander.
Euer Jörg
Jörg Kunz ist promovierter Biologe und PR-Experte mit vielen Jahren Erfahrung in Agentur und Industrie sowie in Expertenorganisationen wie Krankenhaus oder Hochschule. In seinen Blogbeiträgen wirft er einen persönlichen Blick auf aktuelle Ereignisse und betrachtet diese aus der Sicht der Kommunikation bzw. im speziellen aus Sicht der Wissenschaftskommunikation.