Ursula von der Leyen hat mit dem Green New Deal einen Paradigmenwechsel der europäischen Wachstumsstrategie angekündigt. Ein Teil davon ist die neue Maxime „Mieten statt Besitzen“. Dahinter steht erklärtermaßen die Idee, dass sich durch die kollektive Nutzung von Gütern mehr Anreize für Hersteller ergeben, für eine längere Lebensdauer zu sorgen. Ein Produkt mit längerer Lebensdauer, wenn auch gegebenenfalls mit einem höheren Preis, kann durch die intensivere gemeinsame Nutzung nun schneller eine lohnende Investition sein. Gleichzeitig sollen durch die gemeinsame Nutzung Ressourcen effizienter genutzt werden. Ist das aber wirklich so neu und was braucht es, damit die sogenannte Sharing Economy ihre Effizienz und ihr Innovationspotential entfalten kann?
Fest steht: Teilen ist gut, braucht aber klare Regeln. Die gemeinsame Nutzung eines Gutes kann die Effizienz und Nachhaltigkeit verbessern. Zumindest dann, wenn mit dem gemieteten Gut genauso sorgsam umgegangen wird, wie mit einem selbst erworbenen. Wenn dies der Fall ist, werden weniger Ressourcen verschwendet und nicht jeder muss die Fixkosten einer Anschaffung selber tragen. Nehmen wir ein oft gebrauchtes Beispiel. Wie lange benutzen Sie eine Bohrmaschine vom Kauf im Baumarkt bis zur Entsorgung am Recyclinghof? Auch wenn man die oft proklamierten 15 bis 20 Minuten nicht so ernst nimmt, wird schnell ersichtlich, dass die Bohrmaschine tatsächliche die meiste Zeit unbenutzt rumliegt. Diese zu teilen wäre also die naheliegende Idee. Derjenige, der die Maschine gekauft hat und verleiht, bekommt ein Nutzungsentgelt und der Entleiher muss nicht extra eine Maschine anschaffen, obwohl er sie nur kurz braucht. Am Ende haben beide mehr Geld in der Tasche und die Anzahl der gebohrten Löcher ist gleich.
Jetzt werden Sie zu Recht sagen, das ist doch nicht neu, man kann doch überall schon Autos, Fahrräder und seit neuesten auch Scooter flexibel nutzen, Filme und Musik nach Bedarf streamen, sich Handwerkerdienstleistungen online anbieten lassen und sich über Mietwohnportale auf der ganzen Welt Unterkünfte buchen. Auch Unternehmen können sich Software, Rechenleistung oder Speicherplatz auf Servern auf der ganzen Welt flexibel anmieten. Alles richtig. Bei den gewerblichen Angeboten lassen sich aber vermeintlich noch Potentiale heben und der private Sharing Bereich ist hierzulande noch recht unterentwickelt. Letzteres wird gerade im Vergleich zu Asien deutlich, wo es über diverse Plattformen auch möglich ist sich ganz triviale Dinge wie z.B. einen Basketball kurzfristig anzumieten.
Wie gesagt, die Vorteile einer gemeinsamen Nutzung liegen auf der Hand. So ist es für uns Konsumenten heute billiger und bequemer von A nach B zu kommen, eine riesige Medienbibliothek ständig zur Verfügung zu haben anstatt einer Plattensammlung im Schrank oder sich aus einer Vielzahl von Handwerkerangeboten für das passendste zu entscheiden. Neben der billigeren und bequemeren Nutzung ist die Transparenz ein weiterer Vorteil. Auf den diversen Plattformen sind die Kosten meist sofort ersichtlich und wir können anhand einer Vielzahl von Bewertungen einen Anbieter wählen. Letzteres ist gerade auch ein starkes Tool zur Vertrauensbildung. So würden wir wohl normalerweise nicht zu einem wildfremden Menschen in ein privates Auto steigen, aber die positiven Bewertungen und das Online-Tracking der Fahrt geben uns ein sicheres Gefühl. Gleichzeitig werden aber auch wir Verbraucher für unser Verhalten und Umgang mit dem genutzten Gut bewertet. Auch wir wollen kein schlechtes Rating erhalten und werden so zu einem adäquaten Verhalten und einem sorgsamen Umgang mit dem Gut angehalten. Wir sehen hier eine De-Anonymisierung von anonymen Märkten, was ein großer Vorteil ist.
Für die Unternehmen bedeuten diese Entwicklungen einen erhöhten Anpassungsbedarf und verpflichten zu mehr Service bei geringeren Kosten. So entscheiden wir uns z.B. eben nicht mehr nur alle paar Jahre für ein neues Fahrzeug, sondern können täglich über unsere Mobilität entscheiden. Entspricht eine gemietete Unterkunft nicht dem Angebot, wird diese ebenso schlecht bewertet wie der unfreundliche Uber-Fahrer. Die Unternehmen müssen sich also ständig bemühen und werden mit unattraktiven Angeboten oder Produkten schnell verdrängt. Ein großer Vorteil der Plattformen ist ja gerade die Minimierung von Suchkosten für geeignete Alternativangebote. Wie gesagt geht die Bewertung aber auch in die andere Richtung, so dass wir angehalten sind, uns im Airbnb vernünftig zu verhalten und keine wilden Partys zu feiern. Wenn die neue Sharing-Welt so viele Vorteile bietet, warum ist das Sharing dann noch nicht weiter verbreitet und zum Beispiel Uber in Deutschland gar verboten? Hier zeigen sich die beiden großen politischen Handlungsfelder auf. Zum einen sind auf digitalen Plattformen agierende Geschäftsmodelle nur mit einer gut entwickelten digitalen Infrastruktur möglich. Ist diese nicht flächendeckend vorhanden, kann solch ein Dienst schlicht nicht angeboten werden. Hier ist also die Politik in der Pflicht, die technischen Rahmenbedingungen bereitzustellen bzw. zu ermöglichen. Aber zugegeben, für Uber reicht die digitale Infrastruktur, zumindest in den größeren deutschen Städten.
Das zweite Handlungsfeld der Politik ist weit problematischer. Es bedarf für die neuen Geschäftsmodelle auch geeigneter Regelungen bzw. Regulierungen und Standards. Und hier gibt es aktuell noch teilweise Probleme. Klar ist, dass für alle Unternehmen einer Branche die gleichen Standards gelten müssen. Das umfasst den Konsumentenschutz, arbeitsrechtlichen Bestimmungen und auch die wettbewerbs- und steuerrechtlichen Aspekte. Auch muss sichergestellt werden, dass keine zu große Marktmacht von Seiten eines oder mehrerer Unternehmen entsteht. Gerade bei digitalen Anbietern muss man dem Problem gewahr sein, dass es zu einer „the winner takes it all“ Situation kommen kann. Prominente Beispiele kennen wir alle: unter anderem Google, Facebook und Amazon.
Warum ist die Sicherstellung der Standards und die Regulierung aber oft so schwierig? Es handelt sich um neue und internationale Geschäftsmodelle, für die es entsprechend auch schwieriger ist, Regeln zu definieren und diese umzusetzen. So ist es beim traditionellen Autovermieter so, dass dieser vor Ort ist und ihm die Fahrzeuge gehören, welche er zur Nutzung anbietet. Hier ist der regulative Rahmen klar. Solche Konzepte sind aber nicht wirklich Teil dessen, was man als neue Sharing Economy bezeichnet. Dort ist es so, dass die anbietenden Unternehmen die Güter und Dienstleistungen nicht selber besitzen bzw. anbieten, sondern diese nur noch vermitteln. Hinzu kommt, dass die großen Vermittler und Anbieter ihren Sitz gar nicht im Inland haben. Hieraus ergeben sich eine Vielzahl von Problemen bei der Regulierung. Denken Sie nur an die zahlreichen Wettbewerbsverfahren gegen die großen Technologiegiganten, die oft auf europäischer Ebene ausgefochten werden. Damit eine zielgerichtete Wettbewerbsregulierung gelingen kann und Standards eingehalten werden, bedarf es also neben nationaler auch internationaler Regeln und Verfahren.
Ist aber eine vernünftige Regulierung und die Einhaltung aller Standards sichergestellt, darf und sollte man auch mehr Wettbewerb zulassen. Durch den Wettbewerb müssen sich die Unternehmen mehr bemühen, was aus Verbrauchersicht natürlich sehr willkommen ist. Die (internationale) Politik ist also in der Pflicht, entsprechende Handhabungen und Regularien zu finden. Bloßer verbraucherunfreundlichen Protektionismus kann nicht die Lösung sein, auch wenn sich bestehende Unternehmen in einer Branche gerne gegen neue Innovationen/Geschäftsmodellen abschotten möchten.
Gerade das Beispiel Uber verdeutlicht dies. Schauen wir uns einfach mal die Verbrauchersicht an. Wir haben hier ein Mobilitätsmodell, bei dem von vornherein klar ist, was die Fahrt kostet, mit wem ich fahre und um wieviel die Fahrt auch günstiger wird, wenn ich das Fahrzeug mit anderen Menschen teile. Gerade das tatsächliche Teilen fördert auch die ökologische Nachhaltigkeit. Soweit so gut und so stark natürlich der Druck auf die Taxiunternehmen. Zugegeben, ein fairer Vergleich zwischen Taxis und Uber ist sehr vielschichtig und nicht trivial, dies soll aber hier auch nicht Thema sein, sondern nur als vereinfachtes illustratives Beispiel genutzt werden. Es ist aber sicher keine verbraucherfreundliche Politik, solch ein Mobilitätskonzept durch eine schwer nachvollziehbare und auch ökologisch nicht sinnvolle Rückkehrpflicht der Uber-Mietwagen zum Firmensitz de facto einfach zu verbieten.
Dazu auch noch eine kleine historische Analogie. Heutzutage sind die Fiaker in Wien sehr beliebt und schon lange im Einsatz. Die erste Fiakerlizenz wurde bereits 1693 von Kaiser Leopold I. vergeben. Schon kurz darauf folgte aber die erste Lohnkutschenverordnung, in der u.a. festgelegt wurde, dass ein Fiaker nur ein fixes Entgelt nehmen durfte und nach der Fahrt nach Hause zurückkehren muss. Diese Verordnung war auch nicht kundenfreundlich, es sollten aber damals die alteingesessenen Sesselträger geschützt werden. Analog steht heute ein gewisser Verdacht im Raum, dass es mehr um den Schutz des Taxigewerbes mittels Konkurrenzverbots geht, als um die Belange der armen Uber-Fahrer.
Dies alles soll aber kein blindes Plädoyer für ein unreglementiertes Spiel der freien Marktkräfte sein. Wie jedes Spiel braucht es klare und faire Regeln. Werden diese aber klug definiert sind und strikt umgesetzt, bieten sich neben den Herausforderungen durch die neuen digitalen Möglichkeiten auch eine Vielzahl von großen Chancen, die wir ergreifen sollten. Die EU-Kommission und die national politischen Verantwortlichen haben es also heute in der Hand, daran zu arbeiten, dass faire aber wettbewerbsorientierte Märkte, unter den geltenden Produkt- und Sozialstandards, uns ermöglich, von der Teilung von Gütern und Dienstleistungen zu profitieren.
Man darf es sich aber nicht zu leicht machen und die Verantwortung einfach nur auf die Politik abschieben. Wir als Konsumenten müssen uns unserem Verhalten auch bewusst sein und entsprechend mündig handeln. Wer seine Bücher online kauft und den Urlaub ebenso dort bucht, darf nicht den Untergang der kleinen lokalen Buchgeschäfte und Reisebüros beklagen. Wer Online-Fahrtendienste nutzt, darf sich nicht über leere Taxistände wundern. Am Ende haben es die Konsumenten in der Hand, durch ihr Verhalten die für sie passenden Geschäftsmodelle der Zukunft zu bestimmen. Mit allen Vor- und auch allen Nachteilen.
Ihr Wolfgang Nagl
Wolfgang Nagl ist Professor für Volkswirtschaftslehre in der der Fakultät für Angewandte Wirtschaftswissenschaften. In seinen Blogbeiträgen widmet er sich aktuellen wirtschaftspolitischen Fragestellungen und ordnet diese ein.