Die Corona Pandemie hat unsere Lebensweise im letzten Jahr merklich verändert. Schule, Arbeit oder private Treffen sollen möglichst kontaktlos sein. Die Digitalisierung der Gesellschaft wurde dabei massiv beschleunigt. Und damit verändert sich auch die medizinisch-gesundheitliche Versorgung. Knappe Ressourcen, Stress und Burnout führen zum Berufsausstieg von Pflegekräften. In Deutschland fehlten auch ohne Corona schon heute mindestens 50.000 Pflegekräfte. Altersbedingt werden den in den kommenden Jahren zahlreiche Pflegekräfte in den Ruhestand gehen. Im Gegenzug rückt jedoch nur eine geringe Anzahl an Fachkräften nach. Eine Entwicklung, die die Situation zusätzlich erschwert. Im produzierenden Gewerbe führt die Digitalisierung dazu, dass die Effizienz rasch gesteigert werden kann. Die Fürsorge für andere Menschen jedoch lässt sich nicht so einfach effizienter gestalten. Denn im Gesundheits- und Pflegesektor spielen auch Akzeptanz, Integration und die Frage der Kostenübernahme in Bezug auf den Einsatz digitaler Techniken eine wichtige Rolle.
Vorsorge und Fürsorge digital
An der Technischen Hochschule Deggendorf wird im Projekt DeinHaus 4.0 erforscht, wie die Pflege durch die Digitalisierung unterstützt werden kann. Älteren oder hilfs- und pflegebedürftigen Menschen soll mit Hilfe von im Haus oder in der Wohnung verbauten Sensorsystemen geholfen werden, ein besseres Wissen über ihre persönliche Gesundheit zu erlangen. Diese Sensorik kann den Pflegeaufwand für Angehörige und ambulante Pflegedienst reduzieren, denn auf Grundlage von Daten kann leichter zielgerichtet therapiert werden. Heute schon kann beispielsweise mit einfachen technologischen Maßnahmen die Wahrscheinlichkeit eines Sturzes zu Hause verringert werden. Tür-, Herd- und Fenstersensoren können das Sicherheitsgefühl erhöhen. Ein Tablet dient nicht nur der Kommunikation, sondern gibt zudem einen Überblick über alle im Haushalt gesammelten Daten. Das Forscherteam prognostiziert mit den Daten die Pflegebedürftigkeit. Schulungen steigern die Gesundheitskompetenz der Nutzerinnen und Nutzer und informieren über Themen rund ums Altern: Bewegung, Versorgung, soziale Netzwerke und Technikeinsatz.
Entzerrung der Pflege durch Technik
Solche Sensorsysteme können künftig im Eigenheim, im betreuten Wohnen oder auch in Alten- und Pflegeheim eingesetzt werden. Pflegekräfte und pflegende Angehörige können also von den Möglichkeiten der Digitalisierung profitieren, da sie in ihrer Arbeit mit pflegebedürftigen Menschen unterstützt werden. So kann der Druck auf das Pflege- und Gesundheitssystem in Deutschland entzerrt und eine Überforderung des Systems vermieden werden. Die Daten und Kenntnisse über den Gesundheitszustand von Personen könnten zudem in Zukunft in einer elektronischen Patientenakte gespeichert werden. So wird sichergestellt, dass wichtige Einzeldetails über die Gesundheit und Versorgung von Patientinnen und Patienten aufgrund von Zeitdruck, knappen Ressourcen oder Personalfluktuation nicht verloren gehen.
Digitalisierung optimistisch forcieren
Es bedarf ausgereifter technologischer Lösungen, um in der Lebenswirklichkeit der Menschen bestehen zu können. Die Kompatibilität der Sensorsysteme verschiedener Hersteller ist wichtig, um als Teile eines gemeinsamen Netzwerks funktionieren zu können. Die Systeme müssen außerdem gleichermaßen auf die Bedürfnisse von Pflegebedürftigen und Angehörigen als auch derer von Pflegekräften eingehen. Benutzerfreundlichkeit und Akzeptanz haben in weiten Teilen noch Luft nach oben. Dennoch hat der Digitalisierungsfortschritt – wie gesagt, nicht zuletzt durch die Corona Situation angetrieben – den Weg für weitere und innovative Schritte im Bereich der technischen Assistenzsysteme geöffnet. Parallel dazu wurde die Einstellung vieler Menschen zu digitaler Technik positiv beeinflusst. Die Pandemie hat ohne Frage wichtige Denkanstöße zur Notwendigkeit der Digitalisierung in quasi allen Bereichen unserer Gesellschaft gegeben. Auch in der Gesundheits-, Kranken- und Altenpflege. Daran arbeiten wir.
Christian Rester, Haavard Thoen
Dr. Christian Rester ist Professor für Gerontologie und demographische Entwicklung an der Technischen Hochschule Deggendorf. Er entwickelte und leitet den Studiengang Pflege und lehrt im Schwerpunkt Pflegediagnostik. Seine Mission mit dem Kollegium der Fakultät Angewandte Gesundheitswissenschaften ist es, die Health Literacy der Menschen zu verbessern, insbesondere in den Situationen chronischer Pflegebedürftigkeit.
Haavard Thoen arbeitet als wissenschaftlicher Mitarbeiter im Projekt DeinHaus 4.0 an der Fakultät Angewandte Gesundheitswissenschaften der Technischen Hochschule Deggendorf. Er hat einen Master in Sozial- und Gesellschaftspsychologie, interessiert sich unter anderem für quantitative Forschungsmethoden und beschäftigt sich seit fünfzehn Jahren mit der Datenanalyse. Er ist gebürtiger Norweger und wohnt seit drei Jahren in Niederbayern.