„Klein, blass und glitschig - nicht mehr und nicht weniger. Mehr bekommt Ihr in Zukunft nicht zu sehen.“ Das waren die Worte meines Praktikumbetreuers, nachdem wir das Resultat in Händen hatten und uns zur Nachbesprechung trafen. Es war nichts Anderes als meine erste Aufreinigung genomischer DNA Mitte der 90er Jahre. Zum ersten Mal hatten wir also ein „Erbgut“-Molekül zu Gesicht bekommen, das den Bauplan jedweden Lebens auf unserem Planeten codiert. Auch des kultivierten, hochkomplexen, menschlichen Lebens. Ein Leben, das heute gefährdet ist. Weltweit. Durch Corona.
„Gift“ aus Fett und RNA
Das Virus Sars-CoV-2 aus der Familie der Coronaviridae, hat globale Ausbreitung in der menschlichen Population. Dabei handelt es sich um nichts als eine „nicht-lebendige“, runde, mit Fetten abgeschirmte Kugel, in deren Inneren ein Erbgutmolekül aus RNA liegt. Mit dem sächlichen Hauptwort virus bezeichneten die alten Römer übrigens Schleim, Saft oder Gift. Wie treffend. RNA und DNA sind die zwei chemisch sehr ähnlichen Arten von Erbgutmolekülen, die wir kennen. Chemisch sind es einfach aufgebaute Moleküle, die relativ leicht synthetisiert werden können. Im Netzwerk einer lebenden Zelle haben beide konkrete, aber komplexe Funktionen.
Basen-Code des Lebens
Man kann diese Moleküle ganz unterschiedlich betrachten. Zum Beispiel als 3D-Modell einer DNA-Helix, als komplexe molekulare Basis in Zellkernen, die als Matrize für Biomoleküle dient oder als linearen Informationsträger, der mit den Basen „A“ (Adenin), „T“ (Tymin), „G“ (Guanin) und „C“ (Cytosin) Informationen codiert. Statt der „1“ und „0“ in der Informatik. Letztendlich muss man mindestens alle drei Sichtweisen zu Grunde legen, um die Funktion von DNA und RNA einigermaßen erfassen zu können. Sars-CoV-2 hat gerade mal etwas weniger als 30.000 dieser „A“, „U“ (Uracil als Ersatz für Tymin in RNA), „G“ und „C“ genannten Basen im Erbgut. Der Mensch hat im Vergleich dazu ca. 3.270.000.000 Basen. Aber auch hier zählt: Größe ist nicht alles. Es gibt einzellige Amöben oder immobile Pflanzen, die weder Sehen, Hören noch sprechen können, und 50 bis 200 Mal so große Erbgute haben. Unsere nächsten tierischen Verwandten haben ein bis zu 99 Prozent identisches Erbgut, leben aber deutlich anders als wir. Tatsächlich ist ein Großteil unseres Genoms scheinbar funktionslos. Unsere leiblichen Verwandten haben nur auf die kodierende Sequenz bezogen, also auf die hauptsächlich relevanten drei bis fünf Prozent unseres Genoms, deutlich mehr Unterschiede zu bieten. Ein Grund, warum zum Beispiel eine Organtransplantation nicht zwingend funktionieren muss...(Daher macht es übrigens auch keinen Sinn von menschlichen Rassen zu sprechen, s.hier)."
Zu wenig Wissenstransfer
Fakt ist, wir wissen viel und haben allein schon während meiner noch kurzen Lebenspanne unglaublich viel dazu gelernt. In der Zeit vor meiner Geburt wurden Antikörper technisch und wissenschaftlich handhabbar. Heute sequenzieren wir gesamte Genome beinahe routinemäßig. Fakt ist aber auch, wir wissen noch viel zu wenig bzw. sind mit unserem Wissen noch nicht ausreichend in der täglichen Anwendung. Am deutlichsten wird dies zum Beispiel daran, dass bis vor kurzem keine ausreichenden Daten bezüglich Virusvarianten in einer Viruspandemie verfügbar waren. Wir können froh sein, dass es Sars-CoV-2 war und kein anderes Virus, das unsere aktuelle Situation bedingte. Allerdings müssen wir uns wohl damit abfinden, dass dieses Virus mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht mehr verschwinden wird. Sars-CoV-1 hatte uns diesen Gefallen getan. Niemand weiß, was das für unseren Alltag heißt. Aber es bedeutet mit Sicherheit, dass wir uns sowohl für die Routine-Diagnostik, die Health Surveillance (Gesundheitsüberwachung), die Forschung und insbesondere für die Gesundheit unserer Kinder besser vorbereiten müssen. Alles ist möglich. Packen wir es an.
Stefan M. Fischer ist promovierter Biochemiker mit Erfahrungen in der Molekularbiologie, der Immuntechnologie, der präklinischen Immunologie und Neurobiologie, sowie der molekularen Diagnostik. Seit Kurzem bringt er sich an der THD in den Bereich der biomedizinischen Informatik ein und wird im THD Blog regelmäßig Beiträge zum Thema Life Science Informatics liefern.